KulTOUR: Werderander Kunstgeschoss: Romantik brutal
Das Werderaner Kunstgeschoss zeigt David Mildners schonungslose Sicht aufs Fleisch
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Werder (Havel) - Bei den Älteren unter den Künstlern scheint die Gesellschaftskritik ein wenig aus der Mode gekommen zu sein. Vielleicht sind sie müde, vielleicht auch marod. Bedauerlich, vor nur wenigen Jahrzehnten war „Kunst“ noch ein wichtiges Agens fürs Leben in der Gesellschaft. Heute gefallen sich viele nur selbst, sie schauen weg, betrachten das Toben der Tage allein durch die rosarote Brille. Oberflächlichkeit, Farbenspiel statt Tiefgang. Und genau hier ist man schon bei der neuen Ausstellung in Werders Stadtgalerie angekommen, dem „Kunst-Geschoss“ im siebenten Jahr.
Kurator Frank Weber hat diesmal mit David Mildner einen „Jungen“ erwählt, einen, der gerade mal seine zweite Ausbildungsphase durchläuft, einen, der noch kritisch auf das irdische Treiben zu blicken versteht. Die rosarote Brille überlässt er anderen, dem Publikum, den Figuren seiner oft großformatigen Bilder, in deren Zentrum eine fette Nackte obstreifem Datums steht, Protagonistin vieler Sujets. Mal kreisen Aasgeier über der so bloß und platt liegenden Blondine, mal findet man sie mit blutverschmierten Händen auf dem Bauernhof, wo soeben Schweinsschlachten angesagt ist. Sie zerrt ein gleichfalls nacktes Mädchen an den Beinen hinter sich her. „Schonungslos“ hat Weber diese Ausstellung betitelt, „nichts für schwache Nerven“. Mag sein, dickste Weiblichkeit sah man ja jüngst erst im Lendelhaus gegenüber, da gewöhnt man sich schon mal dran.
David Mildner, 1983 als David Pawelczyk in Polen geboren, hebt den bilddominanten Fleisch-Koloss auch farblich aus dem mehr oder weniger „realistischen“ Sujet heraus – durch ein strahlendes Primärrot, Magenta. Setzt man voraus, dass diese Dame genauso gut für gesellschaftlichen Verfall stehen könnte, für Luxus, Schwelgerei und dionysischen Rausch, so kapiert man, warum sie jenes Mädchen („Hunger for it“) wegschleifen will.
Das Wegschauen von solchen Dingen, von bluttriefenden Schweinen im Baum, von vier toten Vogelbabys, von den dicken Nackten in Gesellschaft eines Kardinals, ist die eine Seite. Mildner provoziert aber zugleich den Voyeurblick des Betrachters ins Bild hinein: Wer sich abgestoßen fühlt und trotzdem hinschaut, hat sich bereits verraten. Nicht schlecht, diese Rezeptionsfalle.
Überfluss und Verfall, Leben, Liebe und Sterben sind die Grundmotive des Malers im Kalkül einer selbstgestrickten Romantik-Vorstellung. Bilder wie ein Tagebuch, ganz aus dem Leben gegriffen: Ein Huhn starb dem Nachbarn im Dorf: Willst Du es malen? Eine tote Maus, Mücke und Motte streng solo, all das hat durchaus eine allegorische Seite, auch wenn Mildners Stil sich (noch) viel Mühe mit dem „Realismus“ macht. Pyramus und Thisbe im Faltenwurf des Euphrat, „Love“ erinnert an eine Zeit, wo er bis zu zwei Meter große Bleistiftzeichnungen schuf: Hier bringt sie den Einen ans Kreuz, den Rest kann man unter Salome nachlesen. Zwei Ölbilder mit Winterlandschaften fallen durch ihre grafik-orientierte Struktur und eine exzellente Farbstrategie heraus. Mildner liebt den Bildvordergrund und die Vordergründigkeit dahinter, auch das ist schon wie Gesellschaftskritik.
Ein breites, auch technisch vielfältiges Oeuvre also, trotz einer meist flächigen Anlage, aber das wird wohl noch. Fast alles ist in den letzten beiden Jahren entstanden. Sein Fazit: „Romantik ist ziemlich brutal!“ Stimmt, schön muss die Kunst nicht unbedingt sein, doch immer wahrhaftig – wie ihre Maler. Gerold Paul
Kunstgeschoss Werder, Ausstellung bis 20. März Do, Sa und So von 13 bis 18 Uhr.
Gerold Paul
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