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Von Michael Klug: Rotes Meer unter gläsernem Dach
Primeln, Rosen, Weihnachtssterne: In Langerwisch werden seit mehr als 100 Jahren Pflanzen gezüchtet
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Michendorf - Eigentlich ist Gerhard Bräutigam kein Mann für zarte Pflanzen. Eher schon gusseiserne Aggregate, Pumpen und riesige Klimaanlagen haben es dem Geschäftsführer des Rosenguts Langerwisch angetan. „Als Maschinenbauer bei der ostdeutschen Handelsmarine habe ich Versorgungssysteme für Schiffe in der Größenordnung einer Kleinstadt gebaut“, erzählt der Ingenieur von einstigen beruflichen Herausforderungen.
Doch auf der Flucht vor politischen Zwängen, denen er sich zu DDR-Zeiten nicht beugen wollte, landete Gerhard Bräutigam in einem Rosenzuchtbetrieb. „Ich dachte, als kleiner Ingenieur in der Landwirtschaft habe ich meine Ruhe.“
Aus den Plänen mit der Ruhe ist jedoch nichts geworden. Der mittlerweile 60-Jährige ist inzwischen Herr über drei Millionen Topfpflanzen und derzeit stolzer Besitzer der wohl größten Weihnachtssternzucht in Brandenburg. „Etwa 160 000 Weihnachtssterne dürften es in diesem Jahr sein“, sagt Bräutigam über das rote Meer in seiner fast zwei Hektar großen Gewächshausanlage. „In Brandenburg gibt es nur noch einen Produzenten, der etwa in dieser Größenordnung arbeitet.“
Vierzig Mitarbeiter sind in dem Landwirtschaftsbetrieb vor den Toren Potsdams beschäftigt. Dass in Langerwisch überhaupt noch Gartenbau betrieben wird, ist Bräutigams Liebe zu dem inzwischen einhundert Jahre alten Traditionsbetrieb zu verdanken. „Nach dem Mauerfall standen plötzlich Leute bereit, die hier alles platt machen wollten“, erzählt er. Also entschlossen sich er und sieben seiner damaligen Kollegen, das Unternehmen selbst in die Hände zu nehmen. „Wir fuhren mit dem Geld aus der Portokasse nach Berlin und kauften der Treuhand für 5000 Deutsche Mark das Gelände ab.“
Worauf er sich dabei einließ – das nennt Bräutigam aus heutiger Sicht eine Wahnsinnsidee. „Die Gewächshäuser waren komplett abrissreif. Es gab nicht mal Tische, auf die man hätte die Pflanzen stellen können. Das war reinste Improvisation.“ Hinzu kam die niederschmetternde Erkenntnis, dass niemand die Langerwischer Produkte kaufen wollte. „Überall im Handel zeigte man den Daumen nach unten, als wir mit unseren Pflanzen kamen“, erinnert sich Bräutigam. „Zu dieser Zeit war schließlich alles, was im Westen produziert wurde, unhinterfragt besser.“ Knapp eine halbe Million Rosen mussten die Langerwischer deshalb 1994 einfach auf den Müll werfen.
Heute hingegen finden Weihnachtssterne, Primeln und Rosen aus Langerwisch wieder reißenden Absatz. „Unsere Kunden wollen Ware aus der Region. Und die in konstanter Qualität“, sagt Bräutigam. Das können die Langerwischer nicht zuletzt deshalb liefern, weil Bräutigam seine Erfahrungen als Ingenieur zugutekommen. „Man sieht sich an Hochschulen und in anderen Wirtschaftsbereichen um, damit man stets auf dem neuesten Stand der Technik ist“, erzählt der innovationsfreudige Unternehmer. Zudem trauen sich die Langerwischer in Sachen Produktentwicklung auch wieder eigene Ideen zu. „Seit ein paar Jahren setzen wir bei Rosen auf die Einzüchtung alter Sorten. Dadurch sehen die Rosen nicht nur gut aus, sie riechen sogar wieder wie Rosen“, sagt Bräutigam.
Das spezielle Feingefühl für die Pflanzen aber überlässt Bräutigam seiner Tochter Kati. Die Gartenbauingenieurin kümmert sich um die Belange der Pflanzen und hat das einstige Zuchtgeschäft mit einem 5000 Quadratmeter großen Gartencenter kombiniert. Familiäre Atmosphäre und kompetente Beratung, so sagt die 26-Jährige, seien die Rezepte zum Bestehen gegen die Konkurrenz durch die großen Handelsketten.
Sorgen macht sie sich aber um den Berufsnachwuchs. „Der Gärtnerberuf hat kaum Anerkennung und vielen sind die Einkommensaussichten zu gering.“ Also muss sie sich nicht wie einst ihr Vater nach Kundschaft umsehen, sondern nach zukünftigen Lehrlingen: „Dazu werden wir wohl verstärkt in Schulen gehen, um für unser Handwerk zu werben.“
Michael Klug
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