Mobbing an Schulen: Rücksichtslos, brutal und ausgefeilt
Seit 20 Jahren berät Annelie Dunand in Kleinmachnow junge Opfer von Mobbing oder Missbrauch und warnt vor den Tätern. Opfer könnten immer seltener mit der Hilfe ihres Umfelds rechnen.
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Kleinmachnow - Es sind nicht die Zahlen und Statistiken, die Annelie Dunand beunruhigen. Es sind die Fälle an sich: Immer rücksichtsloser werden Kinder und Jugendliche in Schulen oder im Internet angegriffen, gemobbt und vorgeführt, sagt die Leiterin der Beratungsstelle des Sozial-Therapeutischen Instituts Berlin-Brandenburg (Stibb) mit Sitz in Kleinmachnow. Hänseleien, Prügeleien bis hin zu entblößenden Filmaufnahmen, das Spektrum physischer und psychischer Gewalt ist breiter geworden. Deshalb warnt Dunand: Niemand darf wegschauen, Lehrer müssen Vorbilder sein und Eltern ihre Kinder schützen – und das nicht nur vor Mobbing.
Seit 20 Jahren führt Dunand die Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche am Zehlendorfer Damm 43. Gemeinsam mit ihren Mitarbeitern kümmert sie sich um junge Mobbingopfer, unterbreitet Präventionsangebote an Schulen, bildet Lehrer und Sozialarbeiter fort und sorgt auch für Kinder und deren Familien, die sexuellen Missbrauch und Misshandlungen erleben mussten. Die Fälle, die sie in den zwei Jahrzehnten ihrer Arbeit vor Ort bearbeiten mussten, seien nicht mehr oder weniger geworden – aber die Täter brutaler und rücksichtsloser. Immer seltener könnten Mobbingopfer mit der Hilfe ihres Umfeldes rechnen, zieht Dunand Bilanz. Und immer ausgefeilter gingen auch Pädophile vor, um Kinder und Jugendliche von ihren Familien und Freunden abzugrenzen. Sie schaffen Vertrauen, wo keines sein sollte – obwohl das Thema in der Gesellschaft längst kein Tabu mehr ist.
Trotzdem falle es gerade Missbrauchsopfern heutzutage immer schwerer, dem Teufelskreis zu entkommen. Denn je mehr über sexuellen Missbrauch oder Misshandlungen gesprochen werde, desto vorsichtiger gingen die Täter vor, desto feiner wird das Netz, das sie um ihre Opfer spinnen, berichtet Dunand.
Scheuten Täter mit pädophiler Neigung früher den Kontakt zu den Opferfamilien, suchten sie ihn heute stärker denn je. Nicht mehr auf dem Spielplatz werden die Kinder angesprochen, sondern in den Familien. Sie bieten sich zum Beispiel alleinstehenden Müttern als Partner, Freund oder Helfer an. Sie sind Nachhilfelehrer oder Sporttrainer. „Sie isolieren das Opfer“, sagt Dunand. Sie setzen es unter Druck. „Ein Junge hatte panische Angst, dass ihm seine Eltern nicht glauben, dass sie ihn beschimpfen, bestrafen“, sagt Dunand. Solche Fälle häuften sich. „Viele Kinder haben Angst und schieben sich selbst die Schuld zu.“
Die Diplom-Soziologin ist schon lange im Geschäft. Bereits vor der Wende führte sie eine therapeutische Mädchenwohngruppe. 1991 gründete sie mit Brandenburger Fachkräften den Stibb als Verein, zwei Jahre später folgte die Gründung der Beratungsstelle. Seitdem wird der Verein von Land, dem Kreis Potsdam-Mittelmark, Kleinmachnow und der Stadt Potsdam finanziell unterstützt. Im vergangenen Jahr konnten so 652 Fälle behandelt werden, vom Missbrauch bis zum Mobbing.
Der Stibb bietet anonyme Beratungen, Opferhilfen bei Strafverfahren, Schutzwohnungen, Erziehungs- und Familienberatungen, Elterntrainings, leistet Aufklärungsarbeit und bietet Fortbildungen für Lehrer, Polizisten oder Sozialarbeiter an. Die Breite der Arbeit in der Beratungsstelle sei mit dem Spektrum der Fälle gewachsen, sagt Dunand. Erst mit der Verbreitung des Internets könnten Pädophile sich auch dort auf die Suche nach leichtgläubigen Opfern begeben. „Eltern sollten sich deshalb für die Interessen ihrer Kinder stärker interessieren“, sagt Dunand. Sie sollten wachsam sein, sich nicht zu leicht von den Kindern abblocken lassen. Ihre wichtigste Erkenntnis: Viele Täter ziehen sich zurück, wenn sie mitbekommen, dass Eltern aufpassen.
Aber es sind nicht nur Pädophile, die das Netz nutzen: Auch immer mehr Jugendliche hätten mit Cyber-Mobbing oder dem sogenannten Handy Slapping – dem Filmen von Prügeleien mit dem Mobiltelefon – zu kämpfen. Die Opfer werden nicht nur in der Schule vorgeführt, sondern auch im Netz. „Jeder hat Angst, sich anzustecken“, erklärt Dunand. Es fehlten Vorbilder, Lehrer, Erwachsene oder Mitschüler, die sofort eingreifen. Der Begriff Opfer sei auf den Schulhöfen zum Schimpfwort geworden. Mitgefühl gibt es kaum noch. „Wenn früher jemand auf dem Rücken lag, war es zu Ende, heute wird nachgetreten“, sagt Dunand.
Der Stibb lädt am Mittwoch, dem 27. März, von 14 bis 18 Uhr, zur 20-Jahr-Feier ein. Zu Gast im Zehlendorfer Damm 43 ist auch Justizminister Volkmar Schöneburg.
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