Von Gerold Paul
Beelitz - Wo die große Reise von Lukas Hoffmann begann, da endete sie auch wieder, am Grabe des Dichters Rainer Kirsch. Donnerstagvormittags war’s gerade auf dem Dorotheenstädtischen, leichter Niesel lag über Berlin. Eine von Efeu zugewachsene Doppelgrabstelle, ein Steinblock aus feinem Granit, kein Name. Auf der Rückseite das Gedicht „Gagra abends“, ohne Titel, Widmung, Absender: „Lila ein Schwein saß still auf einem Baum “ Ein kleiner Zettel auf der Charge bat den heute Sechsundsiebzigjährigen, sich mal zu melden, es ginge da um ein Projekt der Europäischen Austausch-Akademie (EEA) in Beelitz-Heilstätten zum Thema „Crossing Points“.
Das war nun kein Ruf in die Unterwelt, Dichters Rainer Kirsch hat sich diese Grabstatt einfach vor seiner Zeit gesichert. Für den sechsundzwanzigjährigen Münsterländer Lukas Hoffmann, derzeit in Helsinki „Freie Kunst“ studierend, war dieses blinde Granit-Avers der Impuls zu einer Wegsuche. Für sein Atelier im „academy building“ B 3 der Heilstätten, wo man sich noch heute bequem eine TB holen kann, hatte er sich einen Zierbrunnen besorgt, Glasfiber innen, Mörtelputz außen, die Fichtenwalder Firma Bogert lieh ihn aus.
Hoffmanns Idee war nun, die herrenlosen Objekte in einem von ihm bestimmten „Kontext“ zu verbinden, um sie gleichsam von einem zu seinem Kunstwerk zu machen; dass dieser Weg vom Grab zum Brunnen führt, war kein Zufall, jedes Nach-Denken läuft den Dingen ja im Wortsinn hinterher. Um nun aber von der leeren Friedensstatt zum Brunnen der Geburt zu kommen, braucht man einen Fähr- oder Fuhrmann, um es mal kosmisch auszudrücken. Der Kunststudent aus Lüdinghausen fand ihn im EEA-Schlafort Lehnin, dort nämlich lebt und wirbt der Unternehmer Volkmar Weiß mit seinem elfenbeinfarbenen Mini-Cooper-BMW für das „kleinste Taxi Deutschlands“.
Der Brunnen ist nur ein Brunnen, das Taxi ein Taxi, der Grabstein ein Stein, wenn man zu ihnen nicht eine Beziehung herstellt, alles virtuell natürlich. Kompliziert? Im Grunde verdeutlicht dieses Projekt nur den künstlerischen Schaffensprozess und die Arbeit des Rezipienten. Deshalb wird, wer bei der Werk-Präsentation am Wochenende Hoffmanns Atelier betritt, nicht viel mehr wahrnehmen als diesen Brunnen, und einen Zeitungstext, der auch nur Marginales erzählt. Wer schaut schon in den Kopf eines anderen!
Am Grab des lebenden Dichters befragt, zeigte sich der junge Künstler zufrieden. Ja, so hatte er sich das vorgestellt: Vom Stein via Fuhrmann zum Quell, dem er das alles verdolmetscht – die Wege der Kunst schlechthin. Sein „crossing point“ ist additiver Art, er will vom bloßen Objekt weg zur Vitalität. Sein Verzicht, dem Publikum mehr als einen trockenen Brunnen zu bieten, verrät nur, dass alles geistig sein soll und unsichtbar wirkt. Natürlich könnte man mit den drei Objekten trotzdem tolle Geschichten erfinden. Fünfzig bestimmt!
Dieweil Rainer Kirsch also seine „Crossing point“-Einladung ausschlug, ist andren anderes begegnet. So zeigt eine Arbeit im zugigen Obergeschoss B3, wie einer Teilnehmerin das Pech den Weg kreuzte. Ihr Skulpturen-Entwurf misslang, auch dafür ist ein so langer Kurs ja da. Leider hat die EEA-Zentrale noch immer nicht gelernt, den akademischen Titel abzulegen. Er legitimiert sich ja auch nicht, am wenigsten durch die Intentionen vor Ort. Der rezeptionswillige Besucher wird also auch bei dieser Präsentation den Mut zur Freiheit, zum Chaos, zum Spiel nicht oft spüren, man sollte die Akteure einfach ansprechen. Es ist Zeit, die EEA-Konzeption radikal zu inspizieren, ihr PR-Gebaren voran. Nur so, „manchmal, heilt die Nacht des Tags Gebresten“, wie der lebende Dichter einst schreibt.
Präsentation 11.9. ab 15 Uhr, 12.9. 10-18 Uhr, Heilstätten, Dr.-Herrmann-Straße
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