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Potsdam-Mittelmark: Rückzug von Anfang an
19 Tage vor Kriegsende sollten 8000 junge Männer Berlin vor den Russen retten. Ein sinnloses Unterfangen
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Potsdam-Mittelmark – Als Ewald Schönwiese 1945 nach Caputh kommt, ist der Krieg längst verloren. Der 17-jährige Schlesier ist erst vor wenigen Wochen mit Sturmgewehr und Panzerfaust ausgerüstet worden, nur notdürftig hatte man ihn ausgebildet. Mit seiner Einheit ist er von Jüterbog aus aufgebrochen, nun liegt er hier im Wald, vor sich drei sowjetische T34-Panzer, die aus allen Rohren feuern. „Plötzlich kommt ein Kamerad angetaumelt, die Uniform total zerfetzt, der Arm hängt nur noch am Ärmel, er schreit „Helft mir doch – helft mir doch!“ und bricht 20 Meter links von uns zusammen.“ Daran wird sich Schönwiese noch 40 Jahre später erinnern. Er sieht, wie einer der Panzer den Turm dreht, es aufblitzt, und der Schwerverletzte verschwunden ist – weggesprengt. Dann ein Zischen, ein Aufschlag und eine Explosion: Der T 34 wurde von einem anderen Trupp Deutscher zerstört.
Ewald Schönwiese war Mitglied der Division „Friedrich Ludwig Jahn“, dem letzten militärischen Großverband, den die Deutschen noch Mitte April 1945 aus dem Boden gestampft hatten. Über diese Einheit ist jetzt ein Buch erschienen: „19 Tage Krieg“ schildert, wie insgesamt 8000 junge Männer aus allen Ecken Deutschlands nach Jüterbog abkommandiert wurden, um auf den dortigen Truppenübungsplätzen im Schnelldurchlauf auf den geplanten Entsatz Berlins vorbereitet zu werden. Wie man sie ins Gefecht wirft, damit sie sich unter dem Geschützfeuer der Russen und den Fliegerangriffen der Amerikaner nach Norden durchschlagen. Und wie sie ihre Illusionen verlieren – und oft genug ihr Leben.
20 Jahre lang hat der Jüterboger Ortschronist Henrik Schulze, Jahrgang 1950, zur Geschichte der Jahn-Division geforscht. In seinem 600 Seiten umfassenden Werk beleuchtet er den Aufbau dieser Einheit, die als Reserve die Lücke zwischen der vor der Ostfront zurückweichenden 9. Armee und der 12. Armee „Wenck“ schließen sollte. Danach lässt er jeden einzelnen Tag detailliert Revue passieren. Dabei zeigen 26 Karten von der Region zwischen Havelland und Fläming, wo und wann die Verbände von Roter Armee und Wehrmacht in den letzten Kriegstagen aufeinandertreffen. Und Originaldokumente und Fotos illustrieren das schwere Los junger Männer, die um ihre Jugend betrogen wurden. Die meisten von ihnen waren nicht einmal Soldaten, sondern Mitglieder des Reichsarbeitsdienstes – jener Nazi-Organisation also, die ursprünglich zur Ankurbelung der Wirtschaft gegründet worden war. Mit Kriegsbeginn nahm sie aber immer stärkere paramilitärische Züge an.
Dennoch trifft die Männer das Grauen des Krieges unvorbereitet – wie anhand der Zeitzeugenberichte, für die sich Schulze ebenfalls Platz nimmt, deutlich wird. Die Schilderungen lassen einem oft den Atem stocken: So berichtet der angehende Offizier Christian Schürdt, wie ihm bei Luckenwalde drei Mädchen entgegenkommen und ihm ein verzweifeltes Angebot machen. „Wenn sie schon von den Russen vergewaltigt würden, dann wollten sie sich doch lieber vorher einem Deutschen hingeben, in der Hoffnung, lieber von ihm als von einem Russen ein Kind zu kriegen.“ Er habe ihnen nicht helfen können, so Schürdt, er sei mit seinen 19 Jahren viel zu erschüttert gewesen.
In Anbetracht der sowjetischen Übermacht befindet sich die Division „Jahn“, die sich zuletzt als Teil-Einheit der 12. Armee zur Elbe durchschlägt, von Anfang an auf dem Rückzug. „Den jungen Arbeitsmännern gelingt es, den Zeitplan zweier Gardepanzerarmeen kurzzeitig ins Stocken zu bringen“, resümiert Schulze. Mehr nicht. Doch gerade dieses sinnlose Unterfangen sei dann später die Ursache dafür gewesen, dass sämtliche Angehörige der Jahn-Division nach ihrer Kapitulation westlich der Elbe von den Amerikanern an die Sowjets ausgeliefert werden – „ein Schicksal, das selbst einigen Angehörigen der Waffen-SS erspart blieb“, so Schulze.
„Und wenn es auch Menschen gibt, die für unser Schicksal kein Verständnis haben, denen bin ich nicht böse“, schreibt Ewald Schönwiese 1996 in seinen Erinnerungen, die Teil des Buches sind. Die späteren Generationen wüssten ja nicht, was Krieg bedeute, erläutert er. Und setzt hinzu: „Wollen wir nur hoffen, dass all dies unseren Kindern erspart bleibt.“
„19 Tage Krieg“, erschienen im Verlag Dr. Erwin Meißler, Preis: 39,90 Euro, ISBN 978-3-932566-45-5.
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