Potsdam-Mittelmark: Sätze, die sich einbrennnen „Kassandra“ von Christa Wolf im Kino Werder
Von Elisabeth Richter Ganze achtzehn Zuschauer hatten sich im Werderaner Kino versammelt, um eine Theateraufführung zu sehen, der man ein volles Haus gewünscht hätte: „Kassandra“ nach der gleichnamigen Erzählung von Christa Wolf. Die Bühnenfassung stammt von Günter Bauer, Anlass war der 75.
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Von Elisabeth Richter Ganze achtzehn Zuschauer hatten sich im Werderaner Kino versammelt, um eine Theateraufführung zu sehen, der man ein volles Haus gewünscht hätte: „Kassandra“ nach der gleichnamigen Erzählung von Christa Wolf. Die Bühnenfassung stammt von Günter Bauer, Anlass war der 75. Geburtstag der Schriftstellerin im März. Cornelia Gutermann-Bauer vom Turmalin-Theater aus Erlangen spielte in diesem Eine-Frau-Stück anderthalb Stunden lang den inneren Monolog der trojanischen Königstochter, die den Untergang ihrer Heimat prophezeite und der niemand Glauben schenken wollte. Mit intensiver Gestik, Mimik und Stimme riss Cornelia Gutermann-Bauer ihre Zuschauer hinein in diese Tragödie, gegen die sich der Hollywoodfilm „Troja“ wie eine putzige Gute-Nacht-Geschichte ausnimmt. Eine Wasserschale, Musik und Licht sind die einzigen Requsisiten der Inszenierung (Günter Bauer). Das Licht kennt nur warm oder kalt und ein schwarzer Querstreifen teilt den Hintergrund wie eine Augenbinde – die des blinden Sehers oder die der Todeskandidatin vor ihrer Hinrichtung. Kassandra weiß, was ihr bevorsteht: Klytemnestra, die Gattin des siegreichen griechischen Königs Agamemnon, der Kassandra als Kriegsbeute nach Mykene verschleppt hat, wird sie töten. So spricht sie in ihren letzten Stunden von dem schmerzhaften Prozess der Loslösung vom königlichen Elternhaus, davon, wie Troja gegen alle Vernunft in diesen Krieg stolperte, und wie ihr Vater, König Priamos, ihre Warnungen nicht hören wollte, sie verstieß und für wahnsinnig erklärte. „Wer die Wahrheit sagt, ist allein“, erkennt Kassandra. Die Wahrheit ist, dass es nie einen Grund für diesen Krieg gegeben hat, außer dem einen, nach männlichen Ehrbegriffen das Gesicht wahren zu müssen. Voller Bitterkeit stellt Kassandra fest: „Mitten im Krieg fragt man nicht, wie er wohl angefangen hat. Mitten im Krieg fragt man nur, wie er wohl enden wird.“ Sätze, die sich im Erscheinungsjahr der Erzählung, 1983, genau so einbrannten wie heute. Der Applaus war so prasselnd wie ein Häuflein von achtzehn Menschen eben zu klatschen vermag. Bleibt die Überlegung, warum dieses herausragende Theaterereignis nur so wenige Leute herbeilocken konnte. Es wird unter anderem eine Rolle gespielt haben, dass am selben Abend der Kunsthof Glindow sein zehnjähriges Jubiläum feierte und in der Glindower Kirche ein Konzert stattfand. Kann es sein, dass drei Kulturveranstaltungen an einem Abend zu viel für eine Stadt wie Werder sind? Kinobetreiber Knut Steenwerth möchte auch in Zukunft hin und wieder den schönen Kinosaal mit seiner Bühne für Theaterveranstaltungen nutzen, ein schönes Angebot, auch für Schulen. Warum eigentlich hat kein Deutschlehrer seine Schüler in „Kassandra“ geschickt? In Zukunft werden sich die Kulturschaffenden in Werder untereinander absprechen müssen, um sich nicht gegenseitig das Publikum wegzunehmen.
Elisabeth Richter
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