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Verlockende Früchte. Auf der Internetplattform Mundraub.org sind Bäume verzeichnet, deren Früchte man kostenlos ernten kann. Doch Vorsicht ist geboten. So steht dieser empfohlene Apfelbaum an der Teltower Oderstraße auf dem Gelände des Mauerparks, das einer Baustofffirma gehört und umzäunt ist.

© Andreas Klaer

Potsdam-Mittelmark: Schlaraffenland am Straßenrand

Eine Internetplattform wirbt für legalen Mundraub. Werderaner Obstbauern sehen das kritisch

Von Eva Schmid

Stand:

Potsdam-Mittelmark - Verlassen steht ein Apfelbaum am Straßenrand. Autos fahren vorbei. Der knorrige Baum an der Glindower Alpenstraße hängt voller kleiner roter Früchte. Sie sind leicht mehlig, dennoch aromatisch. Viele der Äpfel liegen bereits auf dem Boden und verfaulen. Wieso also nicht stehen bleiben und zugreifen? Offensichtlich kümmert sich keiner um die Ernte.

Das haben sich auch die Berliner Initiatoren der Internetplattform Mundraub.org gedacht, als sie im Jahr 2009 mit ihrem Projekt an die Öffentlichkeit gingen. Seither werben sie für legalen Mundraub. Und das funktioniert so: Jeder kann auf einer interaktiven Karte im Internet eintragen, wo er einen Obstbaum auf öffentlichem Grund entdeckt hat. Bevor das Obst auf dem Boden verfault oder kaputt getreten wird, sollte es lieber geerntet werden, so die Idee der Initiative.

Der Baum, so steht es in den Regeln des Internetportals, darf nicht auf einem Privatgrundstück stehen. Doch das ist nicht immer gewährleistet: So ist auf der interaktiven Karte auch ein Apfelbaum in der Teltower Oderstraße eingetragen. Auch er hängt jetzt voller Früchte. Doch der Teltower Mauerpark, auf dessen Gelände er steht, gehört einer Baustofffirma. Drumherum sind Zäune.

„Es liegt in der Verantwortung der Nutzer sicherzustellen, dass keine Eigentumsrechte verletzt werden“, erklärt Kai Gildhorn, der Gründer der Mundraub-Initiative. Wenn andere Nutzer feststellen, dass Eigentumsrechte verletzt werden, könnten sie das melden, der Eintrag würde gelöscht. Doch so weit sollte es eigentlich nicht kommen: „Durch einen kurzen Anruf in der Kommune oder eine Nachfrage beim Nachbarn bekommt man schnell Gewissheit“, so Gildhorn. Die Besitzer der Obstbäume, Streuobstwiesen oder Obstgärten können ihre Bäume aber auch auf dem Portal freigeben.

Die Mundraubidee boomt: Weltweit gibt es mittlerweile rund 10 000 Einträge. Das Portal hat fast 12 000 Nutzer, pro Tag kommen im Schnitt 20 neue Mundräuber hinzu. „Obst ist gerade total in, das zieht die Leute raus in die Natur“, so Gildhorn.

Auch in Potsdam-Mittelmark gibt es bisher über 50 eingetragene Obstbaum-Standorte. Vor allem rund um Werder, in Schwielowsee, vereinzelt auch in Michendorf, Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf wurden Mundraub-Objekte gesichtet. Das Angebot reicht hier von Äpfeln über Holunderbeeren, Walnüssen bis Rucola. „In Berlin und Brandenburg ist die Dichte der eingetragenen Bäume besonders hoch“, sagt Gildhorn. Das liege auch daran, dass die alten Preußen traditionell großen Wert auf den Anbau von Obstbäumen entlang öffentlicher Straßen gelegt hätten.

Doch früher war Mundraub eine Straftat. Erst 1975 wurde er als eigenständiges Delikt abgeschafft. Dennoch muss man aufpassen: Wer auf anderer Leute Grundstück ohne Erlaubnis erntet, macht sich des „Diebstahls geringwertiger Sachen“ schuldig, heißt es heute im Gesetzestext.

Auch Werderaner Obstbauern sehen die Mundraub-Initiative kritisch: „Fast überall dort, wo Obstbäume hier in der Region stehen, sind die Flächen bewirtschaftet“, erklärt der Vorsitzende des Werderaner Obstbauvereins, Walter Kassin, bei einem Blick auf die Mundräuber-Karte. Er verstehe, dass einige Pflücker die Wildnis, die auf manchen Plantagen herrsche, falsch deuten: „Obstbauern roden ihre Flächen, um neu anzupflanzen – da kann es schon mal so aussehen, als ob das niemand gehören würde.“ Werde ein Standort auf der Plattform veröffentlicht, müsste das schon wirklich Hand und Fuß haben, so Kassin. „Sonst kann das schnell nach hinten losgehen“, so der Vorsitzende des Obstbauvereins.

Dass auch eine Streuobstwiese viel Arbeit macht, weiß Dieter Dörflinger. Der Vorsitzende des Landschaftspflegevereins Potsdamer Kulturlandschaft hat im Frühjahr dieses Jahres am Töplitzer Heidberg auf einer alten Kirschplantage 250 neue Bäume für eine Streuobstwiese pflanzen lassen (PNN berichteten). Die Mundraubinitiative gefällt ihm: „Ich bin froh, wenn jemand zum Ernten kommt.“ In Töplitz sei die Ernte jedoch noch nicht sehr üppig. Auf anderen Streuobstwiesen hingegen, die der Landschaftspflegeverein im Zuge von Ausgleichsmaßnahmen angelegt hat, würden sich die Anwohner bereits über das Obst freuen.

In Töplitz plant er, ein Schild aufzustellen, das erlaubt, die Obstbäume abzuernten. Mit dem Streuobstwiesenprojekt kämpft der Landschaftspflegeverein dafür, dass der Obstanbau mancherorts nicht völlig aus der Landschaft verschwindet. Auch die Initiative Mundraub.org will vor allem Städter für die Natur in ihrer Umgebung begeistern. „Wenn man ein gewisses Bewusstsein für die Natur hat, dann schützt und pflegt man sie auch“, so Gildhorn. Im niedersächsischen Erholungsgebiet Hasetal haben die Mundräuber mit dem Schutz alter Obstbäume begonnen. Gemeinsam mit den Bürgern der Gemeinden Hasetals und dem dortigen Tourismusverband haben sie für die Obstbäume Paten gesucht. In ihrer sogenannten Mundraub-Region, die entlang des Radfernweges Hase-Ems-Tour führt, organisierten sie zur Erntezeit eine Radtour, um das Obst einzusammeln. Über 600 begeisterte Mundräuber meldeten sich aus ganz Deutschland, um bei der Erntetour mit dabei zu sein.

„Das ist ein riesengroßes touristisches Potenzial für so eine Region“, so Gildhorn. Ähnliches schwebe ihm auch für die Region Werder vor, wenn er dort auf Akzeptanz trifft. Den Obstanbau noch stärker mit dem Tourismus zu verbinden, ist auch eines der Ziele der Werderaner Obstbauern. „Uns fehlt bisher die Gesamtvermarktung“, so Kassin. Regionale Produkte müssten viel mehr in den Regalen und auf den Speisekarten der hiesigen Supermärkte, Restaurants und Hotels stehen. Doch bis es so weit ist, kann der Mensch auch zum Obst kommen. Wer dabei auf Nummer sicher gehen möchte, kann jetzt noch kräftig die Selbstpflücke-Angebote der Werderaner Obstbauern nutzen.

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