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Ortstermin im Asylbewerberwohnheim Bad Belzig. Eine Mutter aus Kamerun mit ihrem Baby Joshua unterhält sich mit Bundespräsident Joachim Gauck.

© Bernd Settnik dpa

Potsdam-Mittelmark: „Sie ziehen an den Ketten“ Bundespräsident Joachim Gauck besucht das Übergangswohnheim in Bad Belzig – und

fordert mehr Empathie und Sensibilität bei den Deutschen ein

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Bad Belzig – Zwei alte Menschen in einem zugemüllten Zimmer, er sitzt rauchend am geschlossenen Fenster, sie kauert auf dem Boden, blickt ins Leere. Es stinkt nach Qualm und Toilette, die Wasserleitung ist tot, ein Bild des Jammers. „Oma und Opa“, wie die beiden von den anderen Asylbewerbern genannt werden, sind 1992 aus dem kriegsgeschüttelten Bosnien nach Deutschland geflohen – und sitzen seitdem im Asylbewerberheim fest. Sie haben sich aufgegeben. „Das bekommt der Präsident nicht zu sehen“, sagt Arlen Dennis.

Der hochgewachsene Afrikaner ist sauer – nicht nur, weil Joachim Gauck im Bad Belziger Übergangswohnheim nur Einblick in die modernisierten Zimmer erhält, sondern auch, weil Menschen wie er in Deutschland keine Perspektive bekommen. Nach den Protesten von Flüchtlingen vor dem Brandenburger Tor in Berlin wollte sich der Bundespräsident gestern selbst ein Bild von der Lage machen, in der sich Asylbewerber befinden.

Das Wohnheim in Bad Belzig ist voll belegt: 135 Menschen aus 26 Nationen warten hier auf den Aufenthaltstitel. Vor allem Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afrika sind in der früheren Polizeikaserne untergebracht. Durch den Syrien-Konflikt reißt der Strom nicht ab. In diesem Jahr muss Potsdam-Mittelmark weitere 204 Flüchtlinge aufnehmen, 96 sind noch nicht untergebracht und warten im zentralen Aufnahmelager in Eisenhüttenstadt. Im kommenden Jahr muss Platz für weitere 160 geschaffen werden, so Andreas Burdag von der Kreisverwaltung. Dafür soll ein Übergangswohnheim in Beelitz-Heilstätten für 38 Menschen entstehen, weitere 144 Plätze sollen in Wohnungen in der Teltower Iserstraße geschaffen werden. Das Konzept des Landratsamtes, Asylbewerber erst in Bad Belzig zum Beispiel mit Sprachkursen fit fürs Leben in Deutschland zu machen und sie dann in Wohnungen zu vermitteln, sei schwer umzusetzen – weil Wohnungsgesellschaften Ängste hätten und sich die Flüchtlinge zum Teil vor dem Auszug aus dem Heim fürchten würden.

Arlen Dennis hätte damit kein Problem: Er ist vor vier Jahren aus Kenia geflohen. Damals hatte es Unruhen nach den Parlamentswahlen gegeben – zusätzlich zu Hunger und Naturkatastrophen. Wäre er dort geblieben, wäre er jetzt tot, sagt er. Der 35-Jährige würde gern arbeiten, zum Beispiel als Taxifahrer. „Aber keine Chance, Mann“, so sein Fazit.

Zwar dürfen auch Asylbewerber nach einem Jahr in Deutschland arbeiten, allerdings sind die Schranken hoch. So dürfen sie die Residenzpflicht nicht verletzen, müssen Ausländerbehörde und Jobcenter zustimmen. Letzteres gibt nur grünes Licht, wenn Jobs nicht mit Deutschen oder EU-Bürgern besetzt werden können.

Anders als das Zimmer von „Oma und Opa“ ist das Domizil von Arlen Dennis im Flachbau gegenüber aufgeräumt und sauber. Deckchen liegen aus, vor der Eckcouch läuft leise der Fernseher, eine Kerze verströmt Vanille-Duft. Die Möbel hat er sich selbst kaufen müssen, von 318 Euro im Monat. Deutschland hatte er immer als Land der Möglichkeiten betrachtet. Sein sehnlicher Wunsch: „Wenn ich mal alt bin, will ich sagen können: Ich habe etwas erreicht.“

Solche Worte bekommt auch Joachim Gauck zu hören. Der Bundespräsident nimmt sich Zeit für die Bewohner, hört ihnen zu und kommt zum Schluss: „Sie ziehen an den Ketten – und die lange Dauer des untätigen Verweilens sorgt für Verdruss.“ Gerade im Hinblick auf den Fachkräftemangel brauche Deutschland Zuwanderung. Im Belziger Wohnheim, so Gauck, gebe es viel Potenzial: Ingenieure, Techniker – „durchweg Leute, die arbeiten können und es auch wollen.“ Er verspricht, für mehr Empathie und Sensibilität bei den Deutschen zu werben, und erinnert daran, dass auch 1945 vertriebene Deutsche Menschen gefunden haben, die halfen. „Zwar sind das hier keine Landsleute – aber es sind Menschenkinder.“

Gauck hat an diesem Tag nicht alle Ecken im Wohnheim gesehen – aber die Botschaft der Asylbewerber ist bei ihm angekommen.

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