
© A. Klaer
Potsdam-Mittelmark: Singen ohne Druck
Ohne Noten und ohne schlechtes Gewissen: In Caputh trifft sich eine Gruppe zum Community-Singen
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Schwielowsee - Die Schulter kreisen, schwungvoll dreht sich der Oberkörper nach links und rechts, der Nacken wird gelockert. Das, was eine kleine Gruppe vor dem Caputher Schloss jeden Donnerstag veranstaltet, erinnert an das Aufwärmen, bevor man zum Dauerlauf ansetzt. Doch statt loszurennen, gehen synchron die Münder der Frauen und Männer auf. Angestimmt wird ein Joik, ein lappisches Volkslied – a cappella. Wenige Strophen, eine eingängige Melodie und nach wenigen Minuten erklingt im Schlosspark ein mehrstimmiger Stimmkanon, der an Jodeln erinnert.
Das sogenannte Community-Singen, auch nachbarschaftliches Singen genannt, hat die Niederländerin Susanna Glimmerveen mit nach Caputh gebracht. Seit knapp einem Jahr lockt ihr Angebot allwöchentlich Singbegeisterte an. Das Konzept ist einfach: Wer mitmachen möchte, darf jederzeit dazustoßen. Regelmäßig muss niemand teilnehmen, auch Vorkenntnisse braucht man nicht. Es gibt weder Noten, noch muss man sicher den Ton treffen können. „Es geht uns um dem Spaß am Singen“, sagt die 52-jährige Glimmerveen. Es gebe schon genügend Stress am Arbeitsplatz und zu Hause, da müssten Terminverpflichtungen in der Freizeit nicht auch noch dazukommen.
Glimmerveen steht vor ihrer Sängergruppe und hält ein Blatt Papier hoch, darauf steht in großen Druckbuchstaben der Text des Liedes. Am Boden liegt ein dünner Aktenordner, darin sind Lieder aus Südafrika, den Ländern des Balkans, aus der Ukraine oder England. „Deutsche Volkslieder sind nicht so mein Ding“, sagt Glimmerveen mit dem für Niederländer typischen Akzent. Sie singt vor, die Gruppe singt ihr nach – nach kurzer Zeit singen sie gemeinsam. Es sind einfache, kurze Lieder, die in verschiedenen Tonlagen, mal lauter, mal leiser, wiederholt werden.
Als die schlanke, hochgewachsene Frau vor drei Jahren an den Schwielowsee zog, hatte sie zuvor in England in einer Community-Singgruppe mitgemacht. „Ich wollte in Caputh Teil dieser Gemeinschaft werden und mit dem Singen Alteingesessene und Zugezogene zusammenbringen.“ Sie ließ sich zur Chorleiterin ausbilden. Heute lacht Glimmerveen über ihre anfängliche Idee, „das ist eine Utopie“. Dennoch, manch Alteingesessener hat es immerhin wenige Male zu der offenen Gesangsrunde geschafft. Das Alter ihrer Sänger schwankt: Die Jüngsten seien Mitte 30, die ältesten um die 70 Jahre alt, so die Chorleiterin. Zu den Treffen im Schloss – davor wurde im Fährhaus und später im Ankerhaus geprobt – kommen mittlerweile rund zehn bis zwölf Sänger.
Manche von ihnen reisen aus Michendorf oder Potsdam an. Und das, wofür das Community-Singen eigentlich steht, schätzen sie gar nicht so sehr. „Mir gefallen die vielen internationalen Lieder“, sagt eine ältere Frau aus Wilhelmshorst. Eine Sängerin aus Potsdam-West wünscht sich, dass die Teilnehmer regelmäßiger kommen, „damit wir die Mehrstimmigkeit auch hinbekommen“. Auch den Ton zu treffen sei ihr wichtig und sollte doch Voraussetzung sein. Glimmerveen hingegen sieht das nicht so eng. Wer nicht stimmsicher ist, dem gibt sie umsonst Stimmübungen. „Das hilft, die Diskrepanz zwischen denen, die gut und denen, die nicht so gut singen, aufzulösen.“
Der Joik, das lappische Volkslied, klingt derweil langsam aus. Die Gesichtszüge der Sänger wirken entspannt, leise Stimmfetzen ziehen durch den Schlosspark. Selbst die Fußgänger und Radfahrer, die an der Gesangstruppe vorbeikommen, lächeln begeistert. Es klingt gut, melodisch und die vielen Wiederholungen von Wörtern, die keiner versteht, entspannen selbst die Zuhörer. Eva Schmid
Die Community-Sänger treffen sich immer donnerstags um 20 Uhr im westlichen Flügel des Schlosses Caputh. 1,5 Stunden Probe kosten 5 Euro. Wer mitmachen will, mailt an songcaputh@gmail.com
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