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Potsdam-Mittelmark: Singschwäne, Hohltauben und ein Storch
Immer mehr Vögel überwintern in Nuthe-Nieplitz-Niederung – und sparen sich den langen Flug in den Süden
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Beelitz – Zweimal am Tag kommt der Storch. Falk Witt kennt ihn schon seit vier Jahren. Damals hat ihn der Körziner, der die Hegestation im Naturpark Nuthe-Nieplitz leitet, quasi von der Straße geholt, als er im Winter nicht in den Süden gezogen war. Witt versorgte ihn, sah ihn dann lange nicht mehr. Im Herbst 2011 trafen sich beide wieder, eher zufällig. Das Tier hatte sich die Schnabelspitze abgebrochen, blutete, konnte kein Futter mehr fassen. Witt wurde angerufen, sammelte den Storch in Stangenhagen ein und ernährt ihn seitdem gemeinsam mit seiner Frau Andrea: Aus einem Wassertrog schnappt er sich kleine Fische heraus, Witt kauft dafür einem Fischer den Beifang ab. Außerdem stehen Eintagesküken auf der Speisekarte.
Der Storch fühlt sich sicher mit dieser Versorgung, er ist der einzige seiner Gattung, der im Naturpark Nuthe-Nieplitz überwintert. Andere Zugvögel haben das Areal derweil in Scharen zum Winterquartier auserkoren. Die Vogelzähler staunten Mitte Januar über einige ihrer Ergebnisse. Mehr als 300 Singschwäne halten sich derzeit dort auf, 200 Hohltauben wurden gezählt. In dem Ausmaß ist es das erste Mal, dass Vögel nicht in den Süden ziehen, sagt Lothar Kalbe, Chef der Arbeitsgruppe Ornithologie beim Landschaftsförderverein Nuthe-Nieplitz-Niederung. Als Grund sieht er das stabile Nahrungsangebot – attraktiv für Überwinterungsgäste wie Singschwäne, die zwischen Februar und April wieder in ihre Brutgebiete in der osteuropäischen und sibirischen Taiga aufbrechen, und für heimische Hohl- und Ringeltauben.
Der hohe Schnee der vergangenen Tage, der wohl noch etwas liegen bleiben wird, hat die Nahrungssuche allerdings erschwert. Möglicherweise seien einige Tauben weiter gen Süden gezogen, sagte Kalbe. Genau wisse man dies erst bei der nächsten Zählung im Februar. Einige Singschwäne haben schon in den Vorjahren hier überwintert. Ein Vorteil: Im Nieplitz-Delta, jenem Areal, wo die Nieplitz in den Blankensee mündet, gefriert das Wasser kaum. Damit können die Schwäne als Schutz vor Fressfeinden weiter auf offenem Wasser nächtigen.
So überraschend die jüngsten Zahlen waren – Kalbe sieht sie als Bestätigung von zwei Trends. Die Singschwäne, von denen sonst 100 bis 150 gezählt wurden, ziehe es seit rund 20 Jahren im Winter ins Binnenland, vorher bevorzugten sie Küstenregionen als Winterquartier. Sie ernähren sich hier auf Rapsfeldern und Wiesen, kommen wieder und werden wieder fündig, wenn der Schnee nicht zu hoch liegt – ein Lernprozess. Mit dem Klimawandel habe das eher nichts zu tun.
Auch die Hohltauben, von denen vor Weihnachten sogar 500 gezählt wurden, verabschieden sich wohl von ihrem Verhalten als Zugvogel, meint der erfahrene Hobby-Ornithologe. Sie bleiben zunehmend in der Nähe der Brutplätze, wenn es dort genügend Nahrung gibt. Dann können sie nicht nur die besten Plätze okkupieren, während ihre Artgenossen noch auf dem Heimflug sind, sondern vermeiden auch die Gefahren, die auf den langen Flügen in den Süden lauern.
Diese Entwicklung sieht Kalbe auch bei Kranichen und Buchfinken – ungewöhnlich sei sie nicht: „Die Amsel, heute ein Allerweltsvogel, war vor 100 Jahren ein reiner Zugvogel.“ Und im Süden Deutschlands, so Kalbe, zögen die Störche auch nicht mehr.
Auch Schwarz- und Rotmilane sieht Falk Witt inzwischen vereinzelt im Winter. Der Falkner hofft dennoch, dass er „seinen“ Storch bald wieder auf natürliche Weise los wird: Er soll sich verpaaren – und in den Süden ziehen. Langsam wetzt sich der untere Schnabel ab, bald kann der Storch wieder schnappen. Es gibt auch Tage, da taucht der Storch gar nicht auf, ernährt sich selbstständig. Ein gutes Zeichen, findet der Falkner, der „generell Tieren, die in die Natur gehören, keine Namen“ gibt. Eine innige Beziehung erschwere das Auswildern. Und dies bleibe weiterhin sein Ziel.
Ingmar Höfgen
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