
© Manfred Thomas
Von Peter Könnicke: „So was schreibt das Leben“
In 50 Reportagen erzählt der Journalist Manfred Pieske von der Zeit „Als Teltow neu erfunden wurde“
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Teltow - Nein, man kann das nicht querlesen, nicht einfach eine Seite aufschlagen und loslegen. Zwar hat Manfred Pieske „Fünfzig merkwürdige Geschichten und ein paar Zugaben“ aufgeschrieben, von der jede einzelne eine Anekdote mit Pointe ist. Aber lesen sollte man tatsächlich von vorn, wo die eigentliche Geschichte beginnt: Von einem der nach Teltow kam, um da sein Glück zu finden und am Ende – zum Glück – aufgeschrieben hat, was er alles erlebt hat.
Pieske ist kein Kind dieser Stadt, er wohnt nicht mal in Teltow, sondern im benachbarten Stahnsdorf. Aber nur wenige dürften Teltow so gut kennen wie der 73-Jährige. Seit 1991 steht sein Name unter unzähligen Beiträgen des Teltower Stadtblatts. Bei dem heuerte der damals arbeitslose Schriftsteller – mit Grüßen vom Arbeitsamt – als Redakteur an. Später kaufte er es, war Gesellschafter, Herausgeber und Schreiber.
Inzwischen ist das Blatt wieder verkauft, aber von Pieske ist immer noch zu lesen. Jetzt in einem Buch. 20 Jahre nach der Wende berichtet er von jener Zeit, „Als Teltow neu erfunden wurde“. So heißt das Buch. „Immer wenn ich Freunden und Bekannten von Teltow erzählt habe, fanden die das ungeheuer interessant oder haben sich kaputt gelacht“, erzählt Pieske. Der Gedanke, „das mal aufzuschreiben", setzte sich fest. Vor anderthalb Jahren machte er „ein paar erste Fingerübungen und plötzlich floss eine Geschichte nach der anderen aus der Feder.“
Das Resultat sind 50 Reportagen über das „Städtchen“, wie Pieske Teltow liebevoll nennt, und über die Leute, die dort leben oder Station machten: Stadtpolitiker, Ackerbürger, Spielzeugladenbesitzer, Investoren, Imperatoren, Fischgräten-Ablutscher, Zickenschulze. Mit spitzer Feder hat Pieske 50 Einzelteile zu einem Stück Zeitgeschichte zusammengefügt. Nebenbei liefert er ein kleines Teltower „Who is who“ der 90er. Wie in einem Almanach liest man vom beleidigtem Abmarsch der CDU-Stadtverordneten aus dem „Schwarzen Adler“, weil man sie als „Blockflöten“ beschimpft hatte. Über die von Landesvater Stolpe umjubelten Pläne des Baumoguls Roland Ernst, aus einem alten Kombinatsgelände einen internationalen Gewerbepark zu machen. Oder von Ackerbürger König, der seine Schäferhunde auf einen kanadischen Groß-Investor hetzte. Oder die tragisch-komische Telefonbekanntschaft mit einer Frau, die in Pieskes Stadtblatt die Angebote eines Bestattungsinstiuts announcieren will, deren Namen er nicht kennt und zu der er eine Art Seelenverwandschaft spürt. Als er sie nach Wochen nach ihrem Namen fragen will, sagt man ihm, dass „sie von uns gegangen ist“.
Als „respektlos und voll menschlicher Wärme“ beschreibt Verleger Horst Meyer, langjähriger Wegbegleiter von Manfred Pieske, die Reportagen. Es sind Geschichten vom Versprechen blühender Landschaften, von Investruinen, persönlichen Tragödien und Triumpfen – das deutsche Nachwende-Kapitel erzählt am Beispiel Teltows. „Sie können sich freuen, wenn sie vorkommen. Sie können sich natürlich auch ärgern, dass Sie vorkommen. Und Sie können sich freuen oder auch ärgern, wenn Sie nicht vorkommen,“ addressiert Horst Meyer an die Leser des Buches.
Es ist kein Enthüllungsbuch und auch keine Kriegsfibel, auch wenn Pieske in den Geschichten Ross und Reiter nennt. Die Teltower kennen ihre Pappenheimer ohnehin und größtenteils auch das, was sich in den Wendewirren zugetragen hat. Als rasender Reporter hat Pieske selbst minutiös die Zeit im Stadtblatt protokolliert. Doch jetzt hat er aufgeschrieben, was er sich damals am Rand notierte oder was höchstens zwischen den Zeilen zu lesen war. Er schildert seine erlebte Sicht der Dinge und was man sich erzählte, „wenn man unter sich war, beim Bier“, oder was Journalisten auf den Pressebänken murmelten, wenn sich vorn im Saal die Stadtpolitik in die Haare geriet.
Eigentlich schreibt Pieske an einen Teltow-Roman. Das unfertige Manuskript liegt schon einige Jahre in der Schublade. Das Fiktive ist sein wahres Metier, elf Bücher hat Pieske als Schriftsteller geschrieben. Aber dass Teltow neu erfunden wurde, könne man nicht erfinden, meint Pieske. „Das schreibt das Leben."
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