KulTOUR: Spielen ganz nach Gehör
„Caputher Musiken“ versuchen sich erstmals an „Neuer Musik“ – erfolgreich
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Schwielowsee - Unter den 206 Konzerten der „Caputher Musiken“ war bisher kein einziges ausschließlich der „Neuen Musik“ geweiht. Mit dem Themenschwerpunkt „Kontraste“ in der 17. Saison änderte sich das. Am Sonnabend gab es im Festsaal des Kurfürstlichen Schlosses ein solches Konzert, wunderbar in der Darstellung, heiter im Verlauf, Extraklasse im Weltformat. Denn hier wurde nicht nur ein Auftragswerk der „Caputher Musiken“ uraufgeführt, hier gab sich, extra aus London angereist, auch die weltbeste Thereminspielerin Lydia Kavina die Ehre!
Sie hatte noch das Glück, bei Lev Theremin, dem Erfinder des elektroakustischen Instruments, zu lernen, bevor er 97-jährig in Moskau starb. Erfunden hat er das Ding 1920. Gespielt wird es, als ob einer dirigierte, freilich ganz nach Gehör, denn die Noten sind zwar in den Partituren fixiert, real muss sie das Ohr „in der Luft“ erst mal suchen. War nun die spielerisch leichte Art ihres Musizierens hörens- wie auch sehenswert, so stand ihr mit Matthias Bauer ein kongenialer Partner auf dem Kontrabass zur Seite. Gleich zu Beginn des Zweistunden-Konzerts machte er mit einer virtuosen Solo-Improvisation deutlich, dass auch sein Instrument fast alle Stimmen „kann“, sogar die vokalen.
Der Veranstalter hoffte zwar auf einen Erfolg, doch stellte er sicherheitshalber ein Programm zusammen, das trotz gelegentlicher Atonalität mehr auf Harmonien als auf Dissonantes setzte. Es gab Solokonzerte beider Instrumente, zum Beispiel „Monologue“ von der Meisterin selber, welches sich auf Kirchentonarten gründet, um dann in zunehmende Freiheit lyrischer Kantilenen zu enteilen. Oder das prachtvolle „Valentine“ (1969) von Jacob Druckmann, eines der schwierigsten und tiefsinnigsten Stücke für Kontrabass überhaupt, man muss es gehört haben! Zwei weitere Soli brachten das Publikum dann endgültig um seine Ruhe. Einmal Lydia Ayers von fernen Felsmalereien inspiriertes „The Rock Art in the Dream World“ für eine Theremin-Flötenstimme und Tape, eine ohrwurmnahe Mischung aus Tradition und Moderne, und „Misserfolg“ für Wort und Kontrabass. Hier verlangt Tom Johnson vom Solisten, im Sprechfluss kontinuierlich zu bleiben, während er die Melodie ins Crescendo treibt. Ist seine Intention nun erfüllt, wenn man mit Erfolg spielt, oder soll er den Titel einlösen? Grandios!
Kompositionen für Theremin und Kontrabass erklangen von Gabriel Iranyi und Stefan Lienenkämper, der anwesend war. Viel Bemühen um Schönheit und Ausdruck, das gemeinsame Spiel brachte ja ganz eigene Dimensionen herein, weitgreifend, tieflotend, und auf besondere Art dialogisch. Den Höhepunkt des Abends freilich war die Welturaufführung eines Stückes, dessen Titel „Coup d’il“ gar nicht so recht zu seiner Struktur passen will.
Stefan Lienenkämper hat es im Auftrag der „Caputher Musiken“ eigens für Matthias Bauer geschrieben. Im Versuch, nur einen einzigen Augenaufschlag zu erfassen, verströmt es Ruhe, Schwermut, Schönheit, um sich zuletzt mit tiefen Schritten in unerreichbaren Fernen zu verlieren. Ganz viel Applaus für diese glanzvolle Aufführung. Man kann dem Veranstalter nur gratulieren. Minutenlanger Beifall nach einer ganz witzigen Final-Improvisation, darin das Theremin dem Kontrabass ein lockeres „Kuckuck!“ zurief. Ein unvergessliches Konzert der Extraklasse – bis zum nächsten Mal!
Nächstes Konzert am 5.11., 15 Uhr, Seitensaal Schloss Caputh: „Die Nachtigall“ von Andersen, Musiktheater für Kinder
Gerold Paul
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