Potsdam-Mittelmark: Spuren jüdischen Lebens in Kleinmachnow
Ein improvisierter Abend brachte kleine Episoden ans Licht/Allein die Geschichte Margarete Sommers würde ein ganzes Kapitel füllen
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Ein improvisierter Abend brachte kleine Episoden ans Licht/Allein die Geschichte Margarete Sommers würde ein ganzes Kapitel füllen Von Peter Könnicke Kleinmachnow. Juden in Kleinmachnow – bislang hatte dieses Thema lediglich eine gerichtliche Note. Der Streit um Rückgabe einstigen jüdischen Eigentums in der Sommerfeldsiedlung ist bis heute die einzige Form der Auseinandersetzung – geführt mit reichlich Vorbehalten, Unkenntnis und Unverständnis. In seinem selbst gestellten Auftrag, die örtliche Geschichte zu erforschen, zu bewahren und zu vermitteln, will sich der Heimatverein nun auch der Suche nach jüdischen Spuren in Kleinmachnow widmen. Allein bekannte Namen wie Georg Gradnauer, Arnold Schönberg, Kurt Weill und Adolf Sommerfeld verheißen ein umfangreiches Kapitel. Der geplante Vortrag von Günter Weber über „Jüdische Bürger in Kleinmachnow“ hätte am Dienstag daher wohl auch nur ein Vorwort sein können. Der Referent war verhindert, was dazu verhalf, dass vor allem die Älteren unter den 35 Gästen sich als Zeugen jüdischen Lebens zur Zeit des Nationalsozialismus zu erkennen gaben. Da gab es plötzlich Erinnerungen an einen ehemaligen Direktor der Eigenherd-Schule, der über den Namen eines Schülers im Klassenbuch Tinte goss, so dass der Junge nicht als Jude identifiziert werden konnte. Der 75-jährige Gerhard Münnich erinnerte sich an eine besonders herzliche Verabschiedung eines Mitschülers durch den selben Schulleiter, „wobei wir nicht wussten, weshalb der Klassenkamerad Kleinmachnow verließ“. Erst später erschloss sich Münnich der Abschied. Es wurde von einer jüdischen Familie erzählt, die von 1928 bis 1935 in der Mehdornstraße lebte. 1933, so soll es in persönlichen Aufzeichnungen nachzulesen sein, habe die Mutter der Familie ihren Kindern „schwere Zeiten“ vorausgesagt. 1935 fuhr die Familie zum Skiurlaub nach Davos und kehrte nicht mehr zurück. Eine der bewegendsten Kleinmachnower Episoden der jüdischen Schicksalsgemeinschaft wurde in der Hakenheide, der heutigen Thälmann-Straße, geschrieben. Sie ist in Kleinmachnow kaum bekannt, auch am Dienstagabend fand sie nur eine kurze Erwähnung. „Hakenheide 166“ war die Privatadresse von Margarete Sommer, die als Mitarbeiterin und spätere Leiterin des Hilfswerks beim Bischöflichem Ordinariat Berlin „nichtarischen“ Katholiken zur Ausreise verholfen, versteckt und selbst im KZ noch versorgt und betreut hat. Als einzige katholische Hilfsstelle im Reich durfte das Berliner Hilfswerk dem in Hamburg tätigen St. Raphaels-Verein Auswanderungsanträge zuarbeiten. Sommer organisierte für die Flucht zahlreicher Juden Pässe, Visa und Devisen, die von den Einreiseländern als Vorzeigegeld – zwischen 200 und 800 Dollar pro Person – verlangt wurden. Arbeit und Kontakte des Hilfswerkes, ein Vier-Personen-Betrieb, waren weltumspannend. Von 1934 bis 1939 wurden dank des St. Raphaels-Vereins 10 350 Juden und „Mischlingen" katholischer Konfession zur Auswanderung verholfen. Für 2200 wurden Stellen im Ausland organisiert. Das Berliner Hilfswerk hat von 1938 bis 1941 257 „Nichtarier“ geholfen, Deutschland zu verlassen. Darunter waren 53 Kinder. Nach Rückgang der Auswanderungen rückte 1939/40 die Wohlfahrtsarbeit in den Vordergrund. Das Hilfswerk übernahm die finanzielle Unterstützung für „nichtarische" Ehepartner, bemühte sich um berufliche Umschulungen und Stellenvermittlungen. Als 1938 der Mieterschutz für Juden aufgehoben wurde, sorgte das Hilfswerk für Familienzusammenlegungen und Pflegestellen für Kinder. Nach Kriegsbeginn arbeitete das Hilfswerk zunehmend im Untergrund, die Kleinmachnower Privatanschrift diente wiederholt für gefährliche Zusendungen. In Niederschriften erwähnt Margarete Sommer, dass die Kleinmachnower Wohnung, die ihrer Mutter gehörte, von der Gestapo und Spitzeln beobachtet wurde. Das hinderte Sommer nicht daran, die 17-jährige Sonja Goldwerth im Juni 1944 für 14 Tage in der Hakenheide 166 zu verstecken. Sommer hatte das Mädchen bereits 1938 kennengelernt, sich über das Hilfswerk erfolglos um eine Ausreise der Zwölfjährigen nach England bemüht und immer wieder Verstecke gesucht. Nach der Kleinmachnower Zwischenstation brachte sie Sonja Goldwerth bis Kriegsende im Heim „Mariahilf“ in der Schönhauser Allee unter. 1993 schrieb Goldwerth über Sommer: „Für mich war sie der Schutzengel schlechthin.“ Trotz strengster Geheimhaltung, um niemanden zu gefährden und zum Mitwisser zu machen, sprach Margarete Sommer fast nie über ihr Tun, sind etwa 120 von ihr betreute Menschen namentlich bekannt. Von Widerstand hat Sommer selbst nie gesprochen. In ihrer Arbeit habe sich „beständig die Gegnerschaft zum NS-Regime manifestiert". In seinen Recherchen zum Lebenswerk Sommers nennt der Buchautor Heinrich Herzberg es ein „legales" Ausnutzen der bekannten und - noch wichtiger - unbekannten Gesetze und Vorschriften, um bewusst die Absichten der Nazis zu unterlaufen. Allein durch das Sammeln von geheimen Informationen über die Machenschaften der Nationalsozialisten und der Transfer des Materials ins Ausland machte sich Sommer des Hoch- und Landesverrates schuldig. Sommers Notiz, „Ging durch Kurier nach Rom", bedeutet u.a., dass sie den Vatikan über die Auswanderung der Juden und über ihre Vernichtung in den Konzentrationslagern informierte. „Haben wir nicht mit bestem Gewissen gegen die Gesetze verstoßen?", fragte Sommer nach dem Krieg. Am einstigen Arbeistplatz von Margarete Sommer, in der heutigen Kirchengemeinde „Herz Jesu“ im Prenzlauer Berg, erinnert eine Dauerausstellung an ihr Wirken. Zudem hat sich die Gemeinde für eine Ehrung Sommers, die 1965 verstarb, in Yad Vashem eingesetzt. Im Frühjahr, so Gemeindemitarbeiter Gerold Jäger, soll Sommer als „Gerechte unter den Völkern“ an der Holocoust-Gedenkstätte in Isreal geehrt werden. In Kleinmachnow will der Heimatverein, den Spuren jüdischer Mitbürger nachgehen. Margarete Sommer hat Kleinmachnow im Oktober 1950 fluchtartig verlassen.
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