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"Treff der Originale": Spurensuche mit kreativem Potenzial

Karikaturist Harald Kretzschmar beschreibt in „Treff der Originale“ Menschen aus Teltow-Seehof.

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Kleinmachnow - Wer Harald Kretzschmar vor einem Jahr durch Teltow-Seehof spazieren sah, ahnte vielleicht, dass der Autor und Karikaturist hier auf Spurensuche ist für ein neues Prominentenbuch. Nun ist es da, herausgegeben vom Verlag für Berlin-Brandenburg, umfasst es knapp 200 Seiten und schon der Titel „Treff der Originale“ lässt vermuten, dass sich deren Lebenswege auch diesmal vielfach kreuzten. Bereits im 2008 erschienenen Buch „Paradies der Begegnungen“, das den Künstlerort Kleinmachnow im Visier hatte, beschrieb der Autor auch die Querverbindungen und Freundschaften in diesem Kulturbiotop. Und weil Biotope sich nicht an Ortsgrenzen halten, zumal mit derart kreativem Potenzial, war der erweiterte Radius der neuerlichen Ermittlungen folgerichtig.

So hat Kretzschmar diesmal neben Künstlern auch die Vita von Wissenschaftlern und Gelehrten unter die Lupe genommen. Darunter Spezialisten wie Erich Correns und Christian Hälsig, den Archäologen Friedrich Wetzel, den Strafverteidiger Erich Frey und die Juristen Joachim-Dieter Bloch und Werner Gentz. Aber auch den Schriftsteller Peter Brock und die Schauspielerin Christine Laszar porträtierte Kretzschmar schreibend und pointiert mit dem Zeichenstift. Weniger um berufliche Erfolge als vielmehr um dramatische und zugespitzte Lebensumstände geht es dem Autor dabei.

Eine der tragischsten Geschichten des Buches ist die von Jurist Bloch, der 1927 als 21-Jähriger sein Rechtsstudium mit summa cum laude und dem Doktortitel abschließt. Es folgt eine Karriere am Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, doch dann erfolgt die Machtergreifung der Nationalsozialisten. Wegen seiner jüdischen Herkunft wird er aus dem Staatsdienst entlassen. Weil seine Vorgesetzten auf ihn aber nicht verzichten wollen, arbeitet er fortan im Hintergrund weiter. Bange Jahre folgen, doch seine Pflichterfüllung wird ihm noch kurz vor Kriegsende zum Verhängnis. In den letzten Tagen des Aprils 1945 bringt er seine Familie nach Lübeck in Sicherheit, doch die Sorge um das Institut lässt ihn noch einmal zurückkommen. In Kleinmachnow läuft er auf russische Truppen zu, die gerade in den Ort vorstoßen – ein Schuss fällt. Es hatte den Falschen getroffen, schreibt Kretzschmar.

Ironisch, geistvoll und präzise schildert Kretzschmar auch die Misere an Verstrickungen, der statt Entfaltung oft der Untergang folgt. So glänzte der 1895 geborene Paul Gruson bereits als Bildhauer mit Plastiken auf den großen Kunstausstellungen, als er 1934 mit einem Denkmal für Horst Wessel beauftragt wurde. Der Entwurf war bereits gefertigt, da entdeckten die Auftraggeber in der Vita des Künstlers eine jüdische Großmutter. Fortan musste er sich mit privaten Aufträgen Kleinmachnower Nachbarn begnügen. 1949 wurde er Museumsreferent im Land Brandenburg, erhielt einen Professorentitel. Kurz vor dem Mauerbau wechselte er nach Westberlin.

Ein Denkmal setzt der Autor jenen, die den Zeiten trotzten, sich nicht vereinnahmen ließen: Charlotte Janka und Ingeborg Gentz. Während ihr Mann Walter Janka mit seiner spektakulären Verurteilung 1957 und 1989 mit der Rehabilitierung gleich zweimal für Schlagzeilen sorgte, blieb seine Frau Charlotte meist im Hintergrund. Die Zeit dazwischen war von Anfeindungen geprägt, auch in der Nachbarschaft. Allein mit den Kindern erkrankt Charlotte plötzlich schwer. Da hilft ihr Ingeburg Gentz, die für ein halbes Jahr als Ersatzmutter einspringt.

Schon allein sprachlich ist Kretzschmars Buch ein Vergnügen. Knapp und unterhaltsam geht er Lebensspuren nach, ohne in ein Heldenpathos abzurutschen. Und noch mehr als mit dem ersten Band ist es ihm gelungen, dem Leser die Menschen nahe zu bringen, inklusive historischer Seitenblicke. Kirsten Graulich

Kirsten Graulich

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