Potsdam-Mittelmark: Stimme eines alten Manns
Vor sieben Jahren bekam das Rathaus Werder (Havel) einen Brief. Der Berliner Klaus-Günter Grothe fragte an, ob er einen Stolperstein für Hans-Peter Olschowski verlegen darf.
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Vor sieben Jahren bekam das Rathaus Werder (Havel) einen Brief. Der Berliner Klaus-Günter Grothe fragte an, ob er einen Stolperstein für Hans-Peter Olschowski verlegen darf. Ein Privatmann mit einem einfachen Wunsch. Er würde für die Kosten aufkommen, schrieb der damals 84-Jährige. Er legte ein Klassenfoto von 1938 bei – mit dem damals 15-jährigen Olschowski und ihm. Grothe und Olschowski hatten die Mittelschule in Werder besucht, sie waren Freunde. Nach der Pogromnacht blieb die Bank neben Grothe leer. Der Brief lag lange in der Schublade. Vor drei Jahren wurde schließlich dies und das in Gang gesetzt: Ossietzky-Oberschüler haben, angestoßen vom Rathaus, zum jüdischen Leben in Werder recherchiert. Sie lasen Unterlagen aus dem Stadtarchiv zur Pogromnacht, besuchten jüdische Adressen und fertigten eine Karte an. Sie machten alles, was 13- bis 15-Jährige in so einem Fall tun können. Unterstützt wurden sie vom Historiker Hartmuth Röhn, einem Mitglied von Kurage. Das Werderaner Toleranzbündnis treibt auch selbst mit einer „Arbeitsgruppe Stolpersteine“ wissenschaftliche Recherchen zu jüdischen Opfern der Nazi-Herrschaft in Werder voran. Sie sind längst nicht abgeschlossen. Zumindest für Hans-Peter Olschowski könnte aber inzwischen ein Stolperstein verlegt werden, das Rathaus genehmigt das nicht. Was die CDU-Fraktion aus diesem Sachstand fabriziert, müsste man Posse nennen, wenn das Thema nicht so ernst wäre: Sie spielt die Ossietzky-Schüler gegen die Leute von Kurage aus. Sie stellt eine notwendige Broschüre aus einem Schülerprojekt gegen ein umfassendes, mit Profis recherchiertes Gedenkbuch. Sie stellt ein „Denkmal für die Opfer von Krieg und Gewalt“ gegen ein europäisches Gedenkprojekt. Das Beispiel Werder zeigt schon jetzt: Hinter den 35 000 verlegten Stolpersteinen steckt eine Erinnerungsarbeit, die es ohne die Idee des Künstlers Gunter Demnig nicht gegeben hätte. Kunst ist streitbar, die Lesart Sache der Betrachter. Es gibt da eine Stimme, die man in Werder nicht überhören sollte: Die eines alten Mannes, der nicht wollte, dass der Name seines Freundes vergessen wird.
KOMMENTAR von Henry Klix
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