KulTOUR: Südlich von Luxor
„Buchskulpturen“ und rechte Winkel in Caputh
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Caputh - Ist der rechte Winkel eigentlich ein Werk von Gottes Natur, oder nur eines aus der menschlichen Abstraktion? Warum heißt man ihn so, nämlich „recht“, und gibt es überhaupt etwas exakt Rechteckiges in der Schöpfung? In Zeiten, wo das Nachdenken über die tiefen Gründe der Welt ständig abnimmt, sind das wichtige Fragen. Sie haben nichts mit „fun“, aber alles mit dem Erkennen zu tun, oft mit der Kunst, solche Dinge erst einmal zum Erscheinen zu bringen, damit man über sie nachdenken kann.
Im Garten und dem Atelier Pro Arte von Siegrid Müller-Holtz in der Caputher Weinbergstraße ist es jetzt möglich, solchen Mysterien des Seins nachzugehen, genau da, wo der gewaltige Strommast mitten im grünenden Privatgelände thront. Open Air findet man Günter Masers eigene „Denkzeichen“. Als Stahlskulpturen sind sie natürlich alle von eigener Gestalt. Was sie eint, ist die Strenge ihrer inneren Geometrie. „Ich habe vieles probiert, habe auch mit gekrümmten Linien gearbeitet“, so der Bildhauer, „aber ich bin Konstruktivist, der rechte Winkel ist meins!“
Zuletzt kommen diese dynamischen „Kreisläufe“ natürlich wieder bei sich selber an, Anfang und Ende sind eines. Der Grundstoff: Cortenstahl, rostbehaucht. Den rechten Winkel dürfen diese Konstrukte bei jeder Richtungsänderung freilich so wenig verlassen, wie der Berliner seine längst in die Jahre gekommene Philosophie. Er meditiert gern, jetzt aber mehr als Mittel zum Zweck, die menschliche Tat gilt ihm höher, wie dem Herrn Faust bei Goethe. Günter Maser baut polygone „Grenzsteine“ in Serie, die jeden Garten, jede Landschaft ändern können, eine Treppe ins Transzendentale, handliche Polymodule, mit denen man sich seine Skulptur (nach Beuys) selber zurechtbasteln kann, und dies bei Pro Arte als „homo ludens“ – als spielender Mensch – ja auch soll.
Mit spielerischer Entdeckerfreude geht auch Siegrid Müller-Holtz der Kunst im Leben zu Leibe. Sie hat weitere „Buchskulpturen“ erschaffen, diesmal mehr deren Inhalten verpflichtet, Mozart, Korea, China, oder Otto Rentschens „Liederboten für das deutsche Haus“. Wichtig natürlich dieser Strubbelkopp mit dem Titel „Die Gedanken sind frei“. Da Pro Arte jetzt mehr Atelier-Galerie als ein Wohnhaus ist, sind auch frühere Arbeiten aus Müller-Holtzens Archiv zu sehen, zum Beispiel die 1999 entstandene Bildserie „Südlich von Luxor“. Oder das Triptychon „Vertraute Fremde“. Eine beeindruckend merkwürdige Bilderwelt. Siegrid Müller-Holtz bleibt ihrer additiv-collagierenden Grundmethode treu. Kraftvolle Farben findet man selten, wenn sie versucht, die unterschiedlichsten Materialien und Gedanken in zwei oder drei Dimensionen zusammenzubringen. Der Mensch ad hoc ist immer dabei, nur sieht man ihn beinahe nie. Ob nun Kunst oder nicht, auch dieser Teil der Ausstellung ordnet sich dem Gesamtkonzept „Denkzeichen“ mühelos zu, oder unter. Den Zeichen einer Zeit, die sich total dem Geist der mathematischen Vernunft ergeben hat.
Eine andere wird kommen. Eine, wo nach Novalis „nicht mehr Zahlen und Figuren/sind Schlüssel aller Kreaturen“, wo die, „die singen oder küssen, mehr als die Tiefgelehrten wissen“. Solche Seligkeit – südlich von Luxor vielleicht – braucht das alte Winkelmaß dann nicht mehr, auch keine Denkzeichen. Bis dahin aber ... eher schon. Gerold Paul
Die Ausstellung „Denkzeichen“ ist bis zum 14. Juni samstags und sonntags von 12 bis 18 Uhr in der Weinbergstraße 20 in Caputh zu sehen
Gerold Paul
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