KulTOUR: Take it easy
Werderaner Schülertheater zum Jubiläum des Mauerfalls vor historischer Kulisse
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Von Gerold Paul
Werder (Havel) - Goethe wusste noch, welche Kraft das Wort „Ich will“ in sich birgt. Er hat ihm sogar ein Gedichtlein gewidmet. In Werder stand diese Sentenz jetzt im Mittelpunkt eines opulenten Schulprojekts. Sechs Kurse des Ernst-Haeckel-Gymnasiums, mehr als neunzig Köpfe, führten ein Theaterspektakel mit diesem Titel auf. Spielort war ein Geviert der alten Russenkasernen in der Straße Zum Großen Zernsee, das Thema „20 Jahre Mauerfall“.
Neunzig Jugendliche, alle keine Zeitzeugen mehr, hatten zuvor Ältere befragt, im Internet recherchiert, die Bücher durchforscht. Je nach Impuls, Intuition und Geschick entstand so ein zweistündiger Bilderbogen, gleichsam die Vorstellung heutiger Gymnasiasten von der DDR und ihrem Fall, wohl auch das ihrer Lehrer.
Beim Einlass gab es ein paar Extras, etwa diesen Spruch zum Nachdenken: „Wie lange muss ,im Westen’ sein, um ,im Osten’ loszuwerden?“ Die Ausrichtung war bald klar, die Schüler suchten mit ihrem lauten „Ich will!“ wohl „die Einheit“, ihr Zuhause, ihre vermeintliche Zukunft. Also ließ man die vielköpfige, teils ost-uniformierte Truppe, in Gruppen Pionierlieder singen, raumgreifend in Reih und Glied marschieren, Zivilschutz und Armee verulken, die DDR-Verfassung nebst Hymne persiflieren. Ein Zuhörer wurde zum Gefangenen eines Stasi-Verhörs, dann an das ganze Publikum der „Augen-zu!“-Befehl, wer nicht gehorchte, wurde gemeldet. Es gab Lieder, Tanzperformances, chorisches Skandieren, Mauerbau und Mauerfall, natürlich im Namen der Freiheit. Ein ziemlich buntes Mosaik aus all den Vorstellungen, welche man sich heute von der Vergangenheit macht. Auch aus ihren Klischees. Zum Glück war jenes „take it easy“ Ratgeber genug, um ein Schmunzeln zwischen Gestern und Werder zu schieben, besonders da, wo die Form an das gute alte Agitprop erinnerte. Trotzdem war nicht zu übersehen, in was für ein miserables Licht da etwas gesetzt werden sollte: Dumme Kleiderschürzen gegen Wessi-Coolness, Freiheitsdürstende gegen boshafte Freiheitsverhinderer, Kollektivismus gegen Individualismus, Alltagsgrau gegen die geballte Buntheit jenseits der Elbe! Hier hätte man sich mehr Differenzierung gewünscht.
Jenseits der frechen, witzigen Siegerparade gab es an diesem Abend ordentlich was zu lernen: Wie man die ungeliebte Vergangenheit loswerden kann, die man nur vom Hörensagen kennt. Lob also den Darstellern für diesen Einsatz in eigener Sache, Lob dem eigenwilligen Schluss, wo jeder im Kreis um das Publikum sein privates „Ich will ...“ hinausschrie. Einer wollte Werder-Ketchup, der andere nur nach Hause. Fragen freilich eher an jene, die es besser als nur billig wissen müssten.
Gerold Paul
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