KulTOUR: Tolstoi und die Kinder
In Ausstellung im Kleinmachnower Rathaus werden Forschungsergebnisse von Klaus Hugler vorgestellt
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Kleinmachnow - Werke wie „Anna Karenina“ oder „Krieg und Frieden“ kennt die gebildete Welt wenigstens dem Namen nach. Aber Tolstois „Russische Lesebücher“ und „Das neue Alphabet“? Seltsam genug, während hierzulande fast jedes Jahr eine neue Pädagogik erfunden wird, unterrichtet eine Schule in Tolstois Geburts- und Wohnort Jasnaja Poljana („Helle Lichtung“) noch heute nach seinen Ideen, und zwar erfolgreich.
Klaus Hugler, einem Teil Potsdams als engagierter Kirchenmann, einem anderen als Buchautor bekannt, hat sich in den letzten sieben Jahren intensiv mit dem Werk des schreibenden Grafen beschäftigt. Daraus sind nicht nur das Büchlein „Der fremde Gast“ und eine CD über das Vegetariertum („so lange es Schlachthöfe gibt, wird es auch Schlachtfelder geben“) entsprungen, sondern auch die Idee, es mit „Tolstoi und den Kindern“ in seinem Religionsunterricht selbst mal zu probieren. Also sprach er mit seinen Schülern in Werder (Havel) und in Kleinmachnows Freier Waldorfschule über Russlands Besten, ließ dessen Geschichten lesen, diskutieren, malen und sogar zu Ende schreiben, ein Schüler befand nämlich, der mit dem Gurkenklau fehle ein Schluss. So entstand dann auch die Idee zu dieser Ausstellung.
Anlässlich seines hundertsten Todestages ist sie nicht nur eine gute Introduktion in die Gedankenwelt des selbstquälerischen Gottsuchers, sondern auch eine Art Prüfstein, ob und wie sie bei Hundert Jahren später geborenen Kindern funktionieren könnte. Noch ein Jahr vor seinem Tod am 20. November entwickelte der Schriftsteller ja den Plan zu einem „Kinder-Evangelium“. Die Ergebnisse Huglers mehrjähriger Arbeit mit Acht- bis Sechzehnjährigen sind derzeit im Rathaus Kleinmachnow unter dem Titel „Tolstoi und die Kinder“ zu sehen. Zwanzig Schau- und Lesetafeln führen den Betrachter von seinem Gutshaus in Jasnaja Poljana südlich von Tula über die wechselvolle Geschichte der dortigen Schule bis in die Gegenwart. Kinderaufsätze und Kinderzeichnungen bezeugen die lebhafte Beschäftigung mit dem literarisch-gedanklichen Oeuvre des Russen, man erfährt seine Abkehr von Tabak, Alkohol, auch von der geliebten Jagd.
Zeit-Genossen wie Maxim Gorki und Rosa Luxemburg sprachen sich grundsätzlich positiv über ihn aus. Auch Klaus Hugler hat eine kleine Ecke für seine eigenen Werke über den großen Tolstoi reserviert. Eine ganze Tafel voller „Kinderweisheit“ ist dabei, die von ihnen zu Ende geschriebene Geschichte, ihre Fragen zu und nach Gott, was in Zeiten des galoppierenden Materialismus ganz besonders wichtig ist. Die Kinder, erzählte Hugler, nahmen den Autor und Komponisten nicht nur sofort an, sie stellten ihm und damit sich selbst auch gleich mal die Gretchenfrage, nach Gott und der Religion. Und, so fügte er hinzu, ohne Tolstoi (1828-1919) hätte es den „gewaltfreien Widerstand“ eines Mahatma Gandhi nie gegeben: „Er war seine einzige Inspiration“.
Viele räumen dem russischen Giganten entscheidende Bedeutung in spe ein. Während sich Kleinmachnows Amt am Freitag ganz tapfer an die eigene Vorgabe hielt, nun die örtliche „Ski-Saison“ zu eröffnen, wird der Ausstellung hier nur eine Woche gewährt. Später soll sie nach Werder gehen. Klaus Hugler hofft deshalb auf ein reges Interesse beim Rathaus-Laufpublikum und wünscht viel Inspiration durch Kinderhand und Kindermund. „Möge jeder seinen eigenen Tolstoi finden!“
bis 21. Nov. Mo.-Fr. 9-16, Di. u. Do. bis 19 Uhr Fr. bis 17 Uhr Sa. 18-21, So. 16-19 Uhr
Gerold Paul
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