
© Michael Reichel/dpa
Teltow: Tricksereien bei der Volkssolidarität?
Zwei Pflegedienste sollen Zahlen manipuliert haben, um ihre knappe Personaldecke zu verschleiern
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Teltow / Potsdam - „Miteinander, füreinander“ lautet der Slogan der Volkssolidarität. Ein anonymes Schreiben, das am Donnerstag an Medien, Gesundheitsverbände und Landespolitiker verschickt wurde, kratzt am sozialen Image der Hilfsorganisation, die sich vor allem der Betreuung älterer Menschen verschrieben hat. Der Vorwurf: Zwei Pflegeeinrichtungen verschleiern gegenüber Kranken- und Pflegekassen ihre Personalengpässe.
Der Ambulante Pflegedienst, den die Volkssolidarität in Teltow unterhält, soll demnach gegenüber Kranken- und Pflegeversicherungen seine Mitarbeiterzahl manipuliert haben. Und die Volkssolidarität Bürgerhilfe gGmbH in Königs Wusterhausen soll Dienstpläne gefälscht haben, um Arbeitszeitverstöße zu verdunkeln. Das Schreiben ist gespickt mit pikanten Details und internen Schriftwechseln im Anhang, deren Authentizität der Landesverband der Volkssolidarität nicht bestreitet.
Fall Eins: Im April dieses Jahres kontrolliert der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) den Teltower Pflegedienst. Jährlich finden solche Prüfungen im Auftrag der Kassen statt. Fünf der pflegebedürftigen Kunden wurden befragt, die pflegerische Leistung und Organisation unter die Lupe genommen – so ist das jedenfalls vorgesehen. Der Pflegedienst bekommt ein „Sehr gut“, 1,0, was etwas über dem Landesschnitt von 1,2 liegt. Alles im Lot?
Kurz nach der MDK-Prüfung wird die Geschäftsführerin des Landesverbands der Volkssolidarität, Roswitha Orban, vom Chef des Regionalverbands Mittelmark, Herbert König, schriftlich gebeten, dem Chef des Teltower Pflegedienstes doch eine Prämie von 1800 Euro zu zahlen. Er habe 170 Überstunden geleistet und sei wegen der „extrem schwierigen Personalsituation“ gezwungen gewesen, permanent mit in der Pflege zu arbeiten.
Wörtlich heißt es in der Bittschrift: „Seit April 2012 ist der Pflegedienst mit Fachkräften, seit September 2012 auch mit Pflegehelfern unterbesetzt.“ Aktuell würden drei Fachkräfte und drei Helfer fehlen. „Bei der letzten MDK-Prüfung erfüllten wir nicht einmal die Mindestvorhaltung an Fachkräften bzw. Fachkraftstunden (zum Glück bemerkte der MDK das nicht).“ Der Landesverband würde ja Bescheid wissen. Trotz dieser Situation habe der Pflegedienst 2012 und 2013 bei den MDK-Prüfungen eine 1,0 erzielt.
Die Pflegedienste sind verpflichtet, dem MDK einmal jährlich die Mindestpersonalzahl zu bestätigen, Unterschreitungen müssen unaufgefordert sofort den Pflegekassen gemeldet werden. Die Kassen müssen dann mit den Pflegeeinrichtungen über Konsequenzen beraten. Bei den MDK-Kontrollen werde die Personalstärke allerdings nicht überprüft, wie MDK-Sprecher Hendrik Haselmann auf PNN-Nachfrage erklärte. Man verlasse sich da auf die Meldungen der Träger, ein Notstand sei aus Teltow nicht bekannt.
Eine Kontrolle, bei der die wichtigste Kennzahl nicht kontrolliert wird – das gibt tatsächlich Spielraum für Tricksereien. In dem anonymen Schreiben wird behauptet, dass sich der MDK für seinen Pflege-Tüv durchaus auch die Personalsituation anschaut, die Volkssolidarität die Situation verschleiert habe. Das könnte jetzt brenzlig werden. Die Kassen würden sich mit den Vorwürfen befassen und gegebenenfalls Konsequenzen ableiten, sagte MDK-Sprecher Haselmann. Die Pressesprecherin der AOK Nordost, Gabriele Rähse, bestätigte gestern knapp: „Wir haben von dem Schreiben erfahren und werden die Vorwürfe unverzüglich prüfen.“
Aus dem Landesverband der Volkssolidarität wird zwar eingeräumt, dass im Pflegebereich, gerade im Berliner Umland, die blanke Personalnot herrsche – vor allem, weil Pflegeleistungen und damit auch das Personal im benachbarten Berlin besser bezahlt würden, wie Vizegeschäftsführer Peter Lange erklärte. „Die Versorgung beim Teltower Pflegedienst war aber zu jeder Zeit vollumfänglich gewährleistet.“ Leistungen, die durch Fachkräfte zu erbringen sind, seien durch Fachkräfte erbracht und ehrlich abgerechnet worden. „Weder Kassen noch Patienten wurden geschädigt“, versicherte Lange. In dem Bittschreiben an die Geschäftsführerin sei „ein bisschen übertrieben worden“.
Pro Pflegedienst seien mindestens drei Vollzeitstellen vorzuhalten. Zurzeit seien im Teltower Pflegedienst „vier oder fünf Mitarbeiter“ beschäftigt, sagte der Pflegereferent des Landesverbandes, Andreas Heil. Bei Kündigungen könne es schon mal zu einer Situation kommen, in der eine Stelle nicht gleich nachbesetzt werden kann. „Für solche Fälle sehen die Kassen dreimonatige Übergangsfristen vor.“ Durch „kapazitätsorientierte Verträge“ könne man die Notzeiten überbrücken.
Was den Fall in Königs Wusterhausen angeht, sagte der Landesverband eine Prüfung zu. Die mit dem anonymen Schreiben ins Zwielicht gebrachte „Volkssolidarität Bürgerhilfe gGmbH“ agiere zwar unter dem Dach des Landesverbands, sei aber eine rechtlich selbständige Einheit. Die Gewerkschaft Verdi hatte die Bürgerhilfe im Oktober ermahnt, die gesetzlichen Bestimmungen zu den Ruhezeiten einzuhalten. Von Mitarbeitern eingereichte Dienstpläne hatten gezeigt, dass die Mindestruhezeit von elf Stunden zwischen den Schichten häufig bei weitem nicht eingehalten wurden.
Die Personalleiterin der Bürgerhilfe, bei der in sieben Pflegediensten und drei Seniorenheimen rund 300 Menschen beschäftigt sind, verschickte daraufhin eine Rundmail ans Leitungspersonal – nicht etwa mit der Bitte, auf die gesetzlichen Bestimmungen zu achten, sondern mit dem Hinweis, dass Dienstpläne oder unternehmensinterne Dokumente dem Datenschutz unterliegen würden. Dies möge bei den Dienstberatungen thematisiert und „für zukünftige arbeitsrechtliche Maßnahmen“ protokolliert werden. Eine denkwürdige Interpretation des Arbeitsrechts.
Wurden für den MDK und die Kranken- und Pflegekassen manipulierte Dienstpläne vorgehalten, um die lukrative Praxis nicht aufgeben zu müssen, wie in den anonymen Schreiben suggeriert wird? Geschäftsführerin der Bürgerhilfe ist Carola Ahlert, zugleich Vize im Bundesvorstand der Volkssolidarität. Sie war gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
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