KulTOUR: Und wo ist die Kunst?
Europäische Austauschakademie in Beelitz-Heilstätten: Der Mensch ist kaum vertreten
Stand:
Beelitz - Seit Mitte August malen, filmen, bohren, kleben oder sägen etwa fünfzig junge Leute aus aller Herren Länder wieder in Beelitz-Heilstätten an neuen Kunstobjekten herum. Ob aus Kanada oder Taiwan, von den Britischen Inseln oder Finnland, die Teilnehmer der diesjährigen „Europäischen Austausch-Akademie“ (EEA) haben ein volles Programm, tags arbeiten sie in den Räumen der einstigen Männer-Lungenheilstätte, abends gibt es ein Vortragsprogramm in Lehnin, wo man seit 2003 stets zu nächtigen pflegt.
Die EEA wurde von der Stadt Beelitz aus der Taufe gehoben, um das so desolate wie reizvolle Gelände national und international bekannt oder halt „akademisch“ zu machen. Im Ausland scheint das zu funktionieren, daheim ist das Interesse schwach, „nicht attraktiv genug“, meinen viele Kunsthochschulen. Dabei haben die Teilnehmer, zwei Deutsche sind trotzdem dabei, beinahe freie Wahl, sie können Filme drehen, malen, installieren oder wie die Schwedin Anna Rokka auch draußen mal ein „Menschenvogelnest“ in einen Baum basteln. Wenn an diesem Wochenende alles fertig ist, darf man es testen.
Der Niederländer Harry Heying hält als Projektleiter auch dieses Jahr alle Fäden zusammen. Er vertrat stets eine „moderne“ Auffassung von seinem Metier. Wieder wird man also besonders viele Raum-Installationen im Haus B 3 finden. Thematisiert ist der vierwöchige Kurs diesmal unter „The Battle of Art – Dialogue of Culture“, was auf „Kampf“ wie auf ein Miteinander verweist. Letzteres, sagt Harry Heying, sei in diesen Zeiten selbst schon eine Kunst, und da hat er recht.
Beim Rundgang durch den weitläufigen Jugendstil-Bau ist der Betrachter sehr gefordert, man wird das Gefühl nicht los, als wollte diese Künstler-Jugend allein ihn zum König schlagen, indes die Arbeiten eher Anstöße geben, als selber Kunstwerk zu sein. Also ein Raum, darin man beim Öffnen der Tür Neonleuchten knistern hört, ein anderer, wo Ronald Bal (NL) bis zum Tapetenschnipsel alles durchnummeriert, um auf die Ordnungswut „der Diktatur“ oder „die Bürokratie im Osten“ zu verweisen. Gut, und wo ist die Kunst? Das Nummerieren ist die Kunst! antwortete Heying verwundert. Das also!
Vielleicht hat der Besucher bei dem „Princess Sir Toby of Sweden“ mehr Glück. Hier wurde geklopft und gesägt, Sir Toby will seinen selbstgebauten Arbeitsraum voll von Redemanuskripten präsentieren. Eine davon hält er zur Vernissage am Samstagnachmittag. Lydia Woort (NL) nutzt einen zugemüllten Raum, damit man sich mit „Chaos und Ordnung“ auseinandersetze, Fotos gibt es von Ilona Smiths Aktion, die ein zwei Meter langes Brot buk und auf dem Gelände verteilte, Alex Farrar (beide UK) spielte den Beelitzern einen Streich, indem er einen Stein der Stadt durch eine Pappmaché-Attrappe ersetzt, die Norwegerin Hanne Meldahl bastelt an ihrem Paradies für Kinder und Erwachsene, freilich mit einem kleinen „Fehler im System“.
Viel ist noch zu entdecken, in der „Wunderkammer“, vor allem bei dem Deutschen Julian Jung: Noch „den göttlichen Funken“ erwartend, nutzt er den Kurs, um jenseits der akademischen Moderne endlich gegenständlich malen zu können. Fast eine Botschaft an die EEA, denn in den vielen „Objekten“ und Installationen ist der Mensch mit seinen Gefühlen sonst nur selten vertreten. Der Titel „The Battle of Art“ ist also gar nicht so billig gewählt.
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: