KulTOUR: Vampirblut in Schwarzweiß und Glühwein „Sex & Crime“ beim „Kino-Varieté“
Stahnsdorf - Mögen auch überall schmucke Lichtspiel-Paläste mit der allerneuesten High-Tech-Ausstattung gebaut werden, irgendwo findet man doch noch den guten alten Kintopp. Vielleicht in Wilmhelmshorst, wo Jakob Damms sich gerade einen Lebenstraum erfüllt, den vom letzten Kino.
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Stahnsdorf - Mögen auch überall schmucke Lichtspiel-Paläste mit der allerneuesten High-Tech-Ausstattung gebaut werden, irgendwo findet man doch noch den guten alten Kintopp. Vielleicht in Wilmhelmshorst, wo Jakob Damms sich gerade einen Lebenstraum erfüllt, den vom letzten Kino. In seinem 15-Sitze-Kabinett, einer alten Garage, gibt es noch das alte Plüschsofa, die Werbedekoration der 20er-Jahre, Originalkisten zum Transport der Originalprojektoren, auch der wohlbekannte Kino-Gong ist da, wenn es losgehen soll. Die Bilder sind stumm, dafür rattert die Abspielmaschine hörbar, gerade wie in alter Zeit. Nostalgie pur, denn für jeden Traum ist Platz noch in der kleinsten Hütte, sogar mit Mini-Bar.
Auch wenn die Wilhelmshorster „schwer zu holen sind“, wie er sagt, will Damms Veranstaltungsprofil doch jedermann erreichen. Für Kinder zeigt sein „Moulin bleu“-Kino zum Beispiel Märchenfilme im 8-Millimeter-Format, bei dem das Publikum die Protagonisten synchronisiert. Erwachsene werden mit Uralt-Filmen, Musik und Attraktionen ins „Kino-Varieté“ gelockt. Dort steht schon der begnadete Pianist Georg von Weihersberg bereit, die Gäste mit exzellenten Improvisationen zu verwöhnen, und vorne, gleich neben der Leinwand, macht ein mehr oder weniger prominenter Jemand lautvolle Geräusche, kommentiert das historische Geflimmer, singt oder grammoliert, erzählt Schnurren und Anekdoten – das ist der Varieté-Anteil. Der Hausherr höchstselbst erscheint in zweierlei Gestalt, einmal als Impresario mit Zylinder, zum anderen als berlinernder Filmvorführer, der auch mal den alten Ratterkasten repariert, wenn er mitten in der Vorstellung den bemoosten Geist aufgibt.
Das „Kino-Varieté“-Nummer 4 am Freitag nun war für Kinder nicht, denn es stand unter dem Thema „Sex & Crime bei Kerzenlicht und Glühwein“, Häppchen und ein Mini-Dessert inklusive. Neben den festen Größen, also Jakob Damms und Georg von Weihersberg, war diesmal die Sängerin und Schauspielerin Caroline Sánchez dazugebeten, und so saß sie, fast dietrichmäßig, an der Leinwand vorn, um mitzuteilen, dass sie von Kopf bis Fuß auf Kino eingestellt sei. Man glaubte ihr das auch, gleichwohl ihre Geräuschemacherei mit Tuten und Rasseln zum Film einst gar nicht passen wollte. Besser, sich vorher mit dem Inhalt vertraut zu machen, schließlich ging es um eine Frau, die sich freiwillig opfert, um eine ganze Stadt von Vampiren und anderen Seuchen zu befreien. Auch dies natürlich ratternd im 8-Milimeter-Format. Ein zweiter Film der gleichen Art folgte unmittelbar, auch er handelte von criminell-vampyrischen Aktionen.
Pause, Essen fassen, Glühwein trinken, warten, was die Abteilung „Sex antique“ zu bieten hat. Zuerst einmal ganz pummelige Blondinen, in langen Szenen gleichgeschlechtlicher Liebe, nackt und stumm. Eine war bereits von Dracula gebissen, bevor sich ein Herr Vampyr als Dritter zugesellte. Da floss das Blut in Strömen. Und man sah, dass „Sex & Crime“ zusammengehören. Klar, bei dem gemeinsamen Ahnherrn! Hier nun war Caroline Sánchez mit dem schwarzen Zylinder die beste Geräuschemacherin der Welt. Sie parodierte diese Rudelbildung ätzend, warf Ratschen ins gering erschienene Publikum: „Lasst uns alle rasseln!“ Nun, das vertrieb die Gespenster zwar nicht, einer im Film wurde trotzdem der neueste Vampir, aber dafür spürte man: Das ist echt, das ist alt, so muss Kino sein! Gerold Paul
Gerold Paul
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