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KulTOUR: Vereinigtes Schweigen

Heimatverein zeigte Dokufilm über Nachwendezeit

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Werder (Havel) - Schillers Ballade vom „Handschuh“ lehrt, dass Kultur oder Politik oder vergleichbare Veranstaltungen nur stattfinden können, wenn jemand den hingeworfenen Handschuh aufhebt. Tut das keiner, passiert nichts. So schien es am Dienstag mit einem Filmabend des Werderaner Heimatvereins im insularen Schützenhaus bestellt gewesen zu sein. Man lud zu einem Dokumentarfilm, den Gitta Nickel 1995 unter dem Titel „Die neue Republik – 5 Jahre danach“ für die ARD gedreht hatte. Das Ganze lief unter der Rubrik „Werderaner Gespräch“, weshalb ein solches wohl zu erwarten war.

Gitta Nickel, längst Werderanerin und Mitglied im örtlichen Heimatverein, fragte mit ihrem Film nach dem Stand der Dinge damals, wo Deutschland mit seinen vereinigten Deutschen im Moment stehe, welche Wünsche sich erfüllt hätten im Jahr fünf, welche nicht. Es gab, wie man damals sagte, Gewinner der Einheit, eine Menge Verlierer, Gedemütigte, Frustrierte, viele Unentschlossene, quer durch die soziologische Struktur der Gesellschaft. So hatte ein Kleinmachnower Ehepaar Sorgen mit Rückübertragungsansprüchen von Alt-Eigentümern. Wo blieb die liebevolle Arbeit über Jahrzehnte am Haus, wo das investierte Geld?

Natürlich war man da nicht gut auf „die Wessis“ zu sprechen. Auch die Lyrikerin Eva Strittmatter, für markige Sprüche bekannt, hielt nichts von ost-westdeutschen Verbrüderungen. Offenbar hatte auch sie manches zu verlieren. Ein Gastronom aus dem Sächsischen indes hatte den Sprung nach und in die Herzen der Oberbayern geschafft, er sagte sinngemäß etwas sehr Wichtiges: Wer sich ein Ziel setzt, hat auch den Weg, und meist erfülle sich der. Der Paria auf der Straße hingegen: „Kennst Du den Unterschied zwischen einem Ossi und einem Ei? Das Ei haut man nur einmal in die Pfanne!“

Auch über den Regierungsumzug nach Berlin und über die sich verbürgerlichende Kleinstadt Weimar gab Gitta Nickel Bericht. Das Wichtigste damals waren der Feind im Kopf und die Angst – beides eher schlechte Ratgeber. Eine Großfamilie/Ost machte aus ihrem Bauernhof eine Nobel-Absteige mit Kutschbetrieb, eine arbeitslose Frau klagte, weil sie nicht wusste, „wie es weitergehen“ solle, mit so wenig Geld vom Staat.

Eigentlich interessant, die Gefühls- und Gemengelage von damals wiederzusehen, viele Probleme haben sich inzwischen erledigt, andere nagen mehr als zuvor am Corpus der Gesellschaft. Immerhin gab es ein Gefühl für ein unvermeidbares Miteinander, das abhanden gekommen zu sein scheint, ertrunken in der seltsamsten Einheit der Welt, mit Verlaub.

Ob das beabsichtigt war, wäre zu fragen gewesen. Auch, warum gewonnene Einheit nun wieder sukzessive abgegeben werden soll, wie sich Frau Bundeskanzlerin jüngst auszudrücken pflegte. Kein Werderaner Gespräch also, niemand hob den Handschuh auf. Schade, nur eine schlichte und stille Filmvorführung. Und manche leisen Gedanken im Kopf. Vielleicht ändert sich das in gut zwei Wochen, wenn der Verein sein neues Buch „Werder 1945“ präsentiert. Gerold Paul

Gerold Paul

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