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Ein Glied in der Kette: Die Beelitzer forderten 1989 die Erneuerung.

© privat

KulTOUR: Vom „heißen Herbst“ zur Einheitseiche

Die Stadt Beelitz erinnert sich an ihre „Wendejahre“ – mit einer Ausstellung und einem neuen Buch

Stand:

Beelitz - Zwanzig Jahre Mauerfall werden hier und da ganz unterschiedlich begangen. Hie krallen sich die derzeit Offiziellen den Lorbeer von gestern ein, da versucht man, etwas Nützlicheres daraus zu machen als nur blanke Ideologie für heute. Beelitz beging dieses wahrlich denkwürdige Ereignis am Samstagnachmittag sozusagen ganz „persönlich“, und dazu im Multi-Pack.

Zum ersten gab es im proppevollen Ratssaal eine Feierstunde mit Gästen aus den Partnerstädten Alfter und Ratingen, mit Bürgermeister Thomas Wardin und viel Volks der Ackerbürgerstadt. Zum zweiten wurde eine Foto-Dokumentation auf dem Flur des gerade baulich eingepackten Rathauses eröffnet. Sie zeigt für einen Monat, was sich mit Bürgerfleiß und „Hilfe aus dem Westen“ in zwanzig Jahren konkret vor Ort getan hat. Sozusagen „die Wende“ als sanierte Stadtarchitektur – besonders im Zentrum. Gerade die Unfähigkeit des Sozialismus, die konkreten Probleme der Menschen, Wohnungsbeschaffung oder Stadtsanierung, zu lösen, brachte die Leute ja erst in Rage – und dann auf die Straße. Westlich der Elbe hatte man seit eh allen Grund, Bewahrenswertes auch zu bewahren. So wird bis heute gehändelt.

Höhepunkt dieses wortreichen Nachmittags aber blieb die Präsentation eines Buches, welches präzis und anschaulich verdeutlicht, was das Wort „Wende“ in und für Beelitz bedeutet. Herausgeber Wilko Krone hatte sich im Auftrag der Stadtverwaltung mit bewundernswerter Energie darangemacht, bei den einstigen Akteuren und auch sonst nachzufragen, Stimmen und Stimmungen einzufangen, Material und Dokumente des heißen Beelitzer Herbstes ’89 zu sammeln und zu sichten, um daraus eine Dokumentation zu formen, die man nur empfehlen kann.

Sechzehn Mal erzählen Beelitzer selbst, was sie damals erlebt, geschaut und selbst getan haben. Die Stadt hatte mehr zu bieten als einen „Soldatenaufstand“ (Slogan „Wir sind auch Menschen“) Anfang 1990 oder das Honecker-Asyl ab April in Heilstätten. Manche Beiträge wurden bereits früher geschrieben, andere hat der Herausgeber den Autoren richtig abringen müssen. So entstanden drei Kapitel Orts- und Zeitgeschichte, die vom Leben in der DDR über „Wendeereignisse“" bis zur Wiedervereinigung reichen und doch stets am Ort bleiben. Nur zwei „Republikflüchtige“ berichten vom Gehen und Kommen.

Alle Texte sind wie mit Herzblut geschrieben, zu hundert Prozent authentisch. Man liest, wie das mit den Wahlfälschungen Mai 89 in Beelitz war, wer sich für das Neue Forum, dann für die Einführung gesamtdeutscher Parteien starkmachte, wer an jenem Runden Tisch saß, der zwar kein Tischtuch hatte, den es aber trotzdem noch gibt. Freilich hatten die Aktivisten damals im Eifer der Gefechte glatt vergessen, auch nur ein Foto dieses illustren Kreises zu machen. Von der quer durch die DDR reichende Menschenkette am 1.Advent ’89 gibt es welche. Aktion Sühnezeichen Greifswald rief damals auf, dergestalt des Volkes Willen zur Erneuerung „im aufrechten Gang“ zu bekunden. Allerdings wurde ausdrücklich darum gebeten, „Querstraßen und Bahnanlagen“ nicht zu blockieren. Ordnung mußte schon sein bei der „Revolution“! Das Beelitzer Glied dieser von Saßnitz bis Hirschberg greifenden Kette gab dem lesenswerten Buch (Auflage 1500 Stück) das passende Titelbild.

Am 3. Oktober 1990 hat man an der Kirche eine „Einheitseiche“ gepflanzt. Von nun an ging alles wieder seinen geregelten Gang.

Das Buch kann im Kulturamt, in der Bibliothek, Poststraße 16, oder in der Buchhandlung „Ein Buchladen“ zu einem Preis von 8 Euro erworben werden. Die Ausstellungen sind im Rathaus zu sehen.

Gerold Paul

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