
© Thomas Lähns
Potsdam-Mittelmark: Vom Inselkoller keine Spur
Der Campingplatz Riegelspitze ist quasi eine Kleinstadt. Und das seit 50 Jahren
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Werder (Havel) - Der Hochsommer hat Einzug gehalten in „Klein-Werder“. Während die Sonne senkrecht vom Himmel scheint, sieht man braungebrannte Urlauber träge durch die Gassen schlurfen. Sie kennen nur ein Ziel: baden im kühlen Wasser. Andere sind gerade beim Mittagessen, hinter so manchen Palisaden klappert Kochgeschirr. Und dort, wo die Plastik-Fenster der Caravans zugezogen sind, wird vermutlich Siesta gehalten. Es geht entspannt zu, hier auf der Riegelspitze, die seit mittlerweile 50 Jahren ein Paradies für Campingurlauber ist. Das wird an diesem Wochenende gefeiert: Mit Live-Musik und zwei Tagen Party.
„Eigentlich ist es eine Kleinstadt“, sagt Betreiberin Fanny Kinkel. 1200 Urlauber suchen hier in Spitzenzeiten Erholung, gut ein Zehntel sind Dauermieter – vor allem Rentner, die hier den kompletten Sommer verbringen. Auf die Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts müssen sie dabei aber nicht verzichten: Neben Wasserver- und Abwasserentsorgung, Strom, Fernseh- und Internetanschluss gibt es auch einen Laden und ein Restaurant – und jede Menge Herzlichkeit. Man kennt sich, man grüßt sich und oft genug trifft man sich für eine Feier. Wie bei richtigen Nachbarn in einer richtigen Stadt. Nur dass hier alles auf viel engerem Raum abläuft.
„Es wird selten langweilig“, sagt Eva Müller. „Aber wenn ich doch mal einen Inselkoller kriege, schwinge ich mich aufs Fahrrad und radele nach Werder.“ Die Rentnerin aus Potsdam ist die wohl langjährigste Einwohnerin der Sommer-Siedlung. Seit den 1960ern kommt sie hierher. „Mich reizt die Natur“, erklärt Frau Müller bei einem Schwatz auf ihrer „Seeterrasse“. Hinter dem Campingwagen mit Vorzelt haben sie und ihr Lebensgefährte Tisch und Sonnenstühle aufgestellt und alles bepflanzt. Hortensien, Passionsblumen, sogar Tomaten gedeihen prächtig. Vom See, der einem fast bis vor die Füße plätschert, weht eine frische Brise herüber. Es dauert nicht lange, da kommt eine Haubentaucher-Familie herangewatschelt. Enten und sogar zwei Schwäne folgen – sie alle lauern auf ein Leckerli. Eva Müller lässt sich nicht lang bitten und holt eine Handvoll Haferflocken.
Es war quasi Liebe auf den ersten Blick, als sie das erste Mal auf die Riegelspitze kam. Das war 1964, als der Campingplatz noch ganz neu war und sich nur auf den vordersten Bereich der Landzunge erstreckte. „Hinten war eine Pfirsichplantage, von der unsere Kinder die Früchte stibitzt haben.“ Sie landete eher zufällig hier, berichtet Eva Müller. Bei einer Motorradtour mit ihrem Mann hatte in Glindow die Maschine gestreikt. Die beiden mussten schieben und wollten hier nur kurz verschnaufen. „Wir sind so freundlich aufgenommen worden, da haben wir beschlossen wiederzukommen.“
Und sie sind wiedergekommen – Jahr für Jahr mit einem bekannten Pärchen. Zuerst wohnte man noch in den sogenannten Dackelhütten, in denen man nicht viel mehr als liegen konnte. „Fünf Mark kostete der Platz für die ganze Saison“, erinnert sich Müller. Die Pellkartoffeln wurden noch mit Wasser aus dem See gegart, auf einem kleinen Kocher, und insgesamt war alles wie ein kleines Abenteuer.
Zu jener Zeit kam auch Fanny Kinkels Mutter hierher. Sie suchte damals einen Job bei der Stadt Werder, eigentlich als Bibliothekarin. Doch die Stelle war besetzt, sie wurde als Verwalterin des Campingplatzes eingesetzt – und blieb bis vor drei Jahren die Seele des Platzes. Dass der heute überhaupt noch existiert – und vor allem nach wie vor so rege genutzt wird – ist ihrer Familie zu verdanken. Nach der Wende wagte Heidrun Kinkel den Sprung in die Selbstständigkeit, pachtete das Areal und investierte unzählige Stunden Arbeit und noch mehr Geld in die Sanierung der Gebäude. Der Urlauberstrom riss eigentlich nie ab.
Nach wie vor würden vor allem Camper aus Ostdeutschland anreisen, so die neue Chefin Fanny Kinkel. Ein Drittel der Urlaubsgäste kämen aber auch aus dem Ausland und unternehmen von hier Touren nach Berlin und Potsdam. Den Trend des Zeltens hätten die meisten hinter sich gelassen. „Viel mehr kommen mit Wohnwagen“, sagt sie. Man müsse schon staunen, welche Dimensionen diese manchmal erreichen würden. Eine Gruppe Holländer – wer auch sonst – sei kürzlich mit einem 18 Meter langem Gefährt angereist. Die Ansprüche seien eben gestiegen. Aber immerhin: Der Platz kostet mittlerweile ja auch nicht mehr nur fünf Euro.
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