zum Hauptinhalt

Potsdam-Mittelmark: Vom Rollstuhl aufs Pferd

In Kemnitz finden derzeit die Deutschen Meisterschaften für Dressurreiter mit Handicap statt

Von Enrico Bellin

Stand:

Werder (Havel) - Huftritte donnern über den Dressurplatz des Kemnitzer Gestütes Bonhomme. Elegant bewegen sich die in der Sonne glänzenden Pferde vor den Preisrichtern, präzise geführt von ihren meist weiblichen Reitern. Das besondere an diesem Turnier sieht man erst auf den zweiten Blick: Viele Jockeys konnten sich nicht selbst in den Sattel schwingen, da sie eine körperliche Behinderung haben. In Kemnitz finden derzeit die Deutschen Meisterschaften für Dressurreiter mit Handicap statt.

„Das Reiten gibt mir Freiheit zurück, im Alltag kann ich mich ja sonst nicht ohne Hilfsmittel fortbewegen“, sagt Elke Philipp. Die 50-Jährige aus dem bayerischen Treuchtlingen sitzt seit einer Hirnhaut- und Kleinhirnentzündung vor 30 Jahren im Rollstuhl. 1992 hat sie angefangen, Pferde in ihre Therapie einzubinden. Seit 2010 nimmt sie erfolgreich an Turnieren teil und gewann im Vorjahr in der Mannschaft Silber bei der Europameisterschaft im Dressurreiten. Am gestrigen Freitag wurde sie Deutsche Meisterin in ihrer Gruppe und verteidigte damit ihren Titel vom Vorjahr.

27 Reiter mit Handicap treten noch bis Sonntag um den Titel des Deutschen Meisters an, der abhängig vom Grad der Behinderung in vier verschiedenen Kategorien vergeben wird. Elke Philipp gewann im „Grade 1“, dem für die Reiter mit schwersten Einschränkungen. Athleten dieser Gruppe sind meist Rollstuhlnutzer mit geringer Balance im Rumpf oder mit begrenzter Funktion von Armen und Beinen. „Das Schöne an diesem Turnier heute ist, das kein Zuschauer direkt sieht, welcher Reiter ein Handicap hat“, sagt Philipp. Denn auf dem Nachbarplatz findet gleichzeitig der „Ritt um das Goldene Pferd“ statt, der zum fünften Mal stattfindende Dressurwettbewerb des Kemnitzer Gestütes.

„Der Behindertensport wird ja sonst auf getrennten Veranstaltungen an den Rand gedrückt, wir wollen ihn in den Regelsport integrieren“, sagt Rebecca Gutman, Geschäftsführerin von Bonhomme. Kemnitz sei inzwischen ein bekannter Ort für Dressur- und Springreitturniere. Das Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten habe deshalb angefragt, ob es dieses Jahr die Para-Dressurmeisterschaft hier austragen könne. „Da haben wir sofort an die Zusammenlegung mit dem Ritt ums Goldene Pferd gedacht, da hier mit 200 Pferden und 180 Reitern ein breites Publikum vor Ort ist“, so Gutman. Auch die Schirmherrin des Turniers, Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), würdigt das Engagement in ihrem Grußwort. „Das Turnier ist gelebte Integration“, so von der Leyen.

Gut in ihren Sport integriert fühlt sich auch Alina Rosenberg. Die 22-Jährige aus Konstanz, die bis 2011 in der Nähe von Neuruppin wohnte, hat seit ihrer Geburt eine spastische Diplegie. Dabei handelt es sich um einen Hirnschaden durch Sauerstoffmangel, durch den die Muskeln der jungen Frau stärker als normal angespannt sind und sie so viele Bewegungen nicht mehr ausführen kann.

„Mit zwei Jahren habe ich das erste Mal zur Therapie auf einem Pony gesessen und später am integrativen Reitunterricht teilgenommen“, so die junge Frau, die von 2009 bis 2012 deutsche Meisterin im Dressurreiten des schwersten Behinderungsgrades war.

Als Ausgleich dafür, dass sie dem Pferd mit ihren Beinen kaum Signale geben kann, reitet sie mit zwei Gerten. Außerdem darf sie beim Reiten eine Kandare benutzen, ein Gebissstück für das Pferdemaul, dass bei zu starker Kraftanwendung zu Gebissschäden führen kann. Alina, die meist im Rollstuhl sitzt und nur kurze Strecken mit großer Mühe laufen kann, könne jedoch nicht so viel Kraft aufwenden, sodass das Tier keinen Schaden nimmt. Zum Aufsitzen muss die junge Frau von zwei Helfern auf das Pferd gehoben werden.

Jeder der Para-Athleten hat für den Aufstieg eine andere Taktik. So kann Elke Philipp über eine Treppe auf den Pferderücken, braucht dabei jedoch immer zwei Menschen, die sie und das Pferd halten. „Das Wichtigste in unserem Sport sind jedoch die Pferde“, so Philipp. „Sie müssen besser mitarbeiten als bei gesunden Reitern und auch ruhig bleiben, wenn mal die Spastik einschießt.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })