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Potsdam-Mittelmark: Von der V 2 in den Sputnik

Der Großvater von Landrat Wolfgang Blasig arbeitete am Triebwerk der Nazi-Rakete und wurde zur Entwicklung des Sputniks nach Russland deportiert. Andere emigrierten freiwillig

Von Enrico Bellin

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Kleinmachnow - Zwei Stunden, um Hab und Gut in Kisten zu packen und nach Russland zu fahren. Mehr Zeit hatte die Familie von Landrat Wolfgang Blasig 1946 nicht, als russische Soldaten an die Kleinmachnower Wohnungstür des Großvaters klopften und den Ingenieur nach Russland verschleppen wollten. Der Grund: Blasig Senior hatte in Peenemünde an der Entwicklung der V2-Raketen mitgearbeitet, deren Technik die Russen unbedingt wollten.

„Vom Ingenieur bis zum einfachen Werkarbeiter haben die Russen jeden mitgenommen und auf eine abgeschiedene Insel gebracht“, so Blasig am Montagabend bei einer Veranstaltung des Kleinmachnower Heimatvereins im gut besuchten Seniorenclub. Obwohl die Sowjets nur den Großvater wollten, kam auch der Vater mit nach Russland, um die Familie nicht im Stich zu lassen. Nach vier Jahren auf der abgeschotteten Insel zog die Familie in eine Sondersiedlung für deutsche Ingenieure nahe Moskau.

Auch die Familie von Blasigs Mutter nahm die Stationen, auch ihr Großvater war Ingenieur. So lernten sich die Eltern kennen, 1954 wurde Wolfgang Blasig in der Siedlung geboren. Die Familie arbeitete an der Triebwerkstechnik des ersten Sputnik-Satelliten. „Im Grunde bestand der aus der Technik der V2-Raketen“, so Blasig. Sein Vater hatte das Privileg, neben der Arbeit abends in Moskau studieren zu dürfen. „Die Siedlung durfte er nur in Begleitung eines Russen verlassen.“

Das Leben in der Siedlung war Blasig zufolge, verglichen mit dem der anderen Russen, komfortabel. Es wurden gute Gehälter gezahlt und die Verpflegung war besser als im Rest des Landes. 1955 kam es trotzdem zu einem Streik einiger Arbeiter, die wieder nach Deutschland wollten. Blasigs Verwandte unterschrieben einen Vertrag, der einen weiteren Aufenthalt von zwei Jahren in der Siedlung vorsah. „Sie wussten, auch wenn sie nicht unterschrieben, würden sie bleiben müssen.“ Und tatsächlich: Während Blasigs eine Gehaltserhöhung bekamen, mussten die Streikenden zu den Bedingungen wie vor dem Streik arbeiten. 1957 startete schließlich der Sputnik ins All, und die Familie durfte zurück nach Kleinmachnow.

Dass es auch Menschen gab, die freiwillig nach Russland emigrierten, beschrieb am Montagabend der Kleinmachnower Ludwig Stern – Sohn von Victor Stern, einem überzeugten Kommunisten, der nach dem Krieg die Parteihochschule Karl Marx in Kleinmachnow aufbaute. Nach einem Philosophiestudium wurde der 1885 im damaligen Österreich-Ungarn geborene Stern Journalist beim Tageblatt in Brünn, dem heute tschechischen Brno, und trat in die Sozialdemokratische Partei Österreichs ein.

Er berichtete als Korrespondent unter anderem 1918/19 in Berlin über die Unruhen, bei denen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg getötet wurden. Auch über den Kapp-Putsch 1920, bei dem Deutschland an den Rand eines Bürgerkrieges gebracht wurde, schrieb Stern und rief nach dem Putschversuch sogar dazu auf, weiterzukämpfen. „Daraufhin wurde er von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt, erhielt jedoch eine Amnestie“, so Ludwig Stern.

Nach dem Putsch wurde der Vater Kommunist und Abgeordneter der Kommunistischen Partei, 1935 emigrierte er schließlich nach Moskau. „Dort blieb er mit Unterbrechung bis 1946, wohnte unter anderem im Hotel Lux und hatte engsten Kontakt mit Tito, Wilhelm Pieck oder Walter Ulbricht“, so Sohn Ludwig. Nach dem Krieg nutzte Victor Stern dann die Möglichkeit, in der sowjetischen Besatzungszone die DDR mit aufzubauen, da war Ludwig Stern gerade neun Jahre alt. „Er blieb bis an sein Lebensende überzeugter Kommunist, auch wenn er einige Säuberungsaktionen unter Stalin mitbekommen hat“, so Ludwig Stern.

Trotz der unterschiedlichen Schicksale sind sowohl Ludwig Stern als auch Wolfgang Blasig der russischen Seele verbunden. „In der ganzen Familie blieb von den zehn Jahren Deportation eine tiefe Liebe zur russischen Landschaft und den Menschen“, so Blasig. Enrico Bellin

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