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KulTOUR: Wanderschaft zum „Wald der Welt“

Im Wilhelmshorster Peter-Huchel-Haus wurde an den Lyriker Oskar Loerke erinnert

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Michendorf - Der halb vergessene, halb neu entdeckte Lyriker Oskar Loerke (1884-1941) wurde auf der jüngsten Veranstaltung des Wilhelmshorster Peter-Huchel-Hauses vorgestellt. Neben der literarischen Erinnerungspflicht hatte diese Veranstaltung auch recht persönliche Gründe. Hausherr Lutz Seiler wollte das Publikum mit einem Essay konfrontieren, den er für die siebenbändige Neuausgabe des lyrischen Werkes im Wallstein-Verlag geschrieben hat. Von letzter Hand noch geordnet, reicht die Edition von „Wanderschaft“ (1911) bis zum 1936 erschienenen „Wald der Welt“.

Ob es nun glücklich war, einen fast programmatischen Text vor die brillante Lesung mit Hans-Jochen Röhrig zu setzen, mag fraglich bleiben, in umgekehrter Reihung hätte sich wahrscheinlich auch nichts anderes ergeben. Die reichlich erschienene Zuhörerschaft jedenfalls schien von der Sprachkraft des Dichters und seines kongenialen Interpreten derart angetan, dass einfach kein Bedarf mehr war, über Ein- und Zuordnungen solcher Verse zu sinnieren. Warum auch, der eine sagt „Naturlyrik“ dazu, ein zweiter heißt sie anders, na und?

Unter Künstlern führen Vater-Sohn-Konflikte oft zu ziemlich großen Taten. Auch Loerke ersetzte seinen ungeliebten, an Fallsucht leidenden Erzeuger anfangs durch die Hügelketten der Weichsel, später durch einen manchmal „Pan“ genannten „himmlischen Vater“. Den Fluss nannte er „Mutter“. Ein Weltkind wollte er diesen Adoptiveltern sein, nahe an Natur und Elementen. Vor allem hatten es ihm Bäume angetan, die Vermittler zwischen Oben und Unten. Noch in seinem letzten Wohnsitz, in Berlin-Frohnau, zählte er 45 starke Kiefern auf seinem Grundstück: „Es knackt im Hof, ein alter Wald, geht durch das Haus.“ Als Lutz Seiler sie jüngst suchte, fand er – was für ein Exempel – nur noch einen Funkmast neuesten Datums. Hier starb der Lyriker 1941, an Schwermut und an den „Untaten der Welt“ leidend.

Er hatte den Verlagen Suhrkamp und Fischer als Lektor gedient, wurde 1933 aus der Preußischen Akademie der Künste entfernt, nach seinem „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ auf die ungeliebten Nazis dann in die „Deutsche Akademie der Dichtung“ aufgenommen: „Hinter mir die Flüchtlingstür, Wald der Welt ist groß.“ Trotz „Immigration“ erschien 1936 „Der Wald der Welt“, er publizierte auch weiter für die Zeitschrift „Das Reich“. Darüber gibt es nichts zu urteilen, es war im Wald dieser Welt eben so.

Wird ein toter Dichter nicht zuerst von seinem Werk her gelesen? Das seine ist im Dunkel-Hell der eigenen Lebenstage mal melancholisch-trüb, mal ausgelassen-fröhlich. Ein Schelm, wer hier nach Ordnung sucht, denn als Pan durch den Silberdistelwald schreitet, spricht das lyrisches Ich ihn so an: „Mein Vater du, ich hüte, Ich hüte dich, mein Sohn.“

Loerke verwandelt selbst die Politik in Poesie. Kommt beispielsweise ein Krieg, sind die Häupter des Waldes „in Todesgedanken versunken“. Das Gedankliche steht bei ihm sowieso ganz obenan. Ob nun „Welt“oder Einzelner, bei ihm hat alles einen kosmischen „Grundgedanken“, den, den auch der Tod nicht beendet. „Das Gesamte und das Einzelne tauschen sich aus“, ein großer Satz. Wieder lyrisch dann, hält er es auch für möglich, dass Gott sich alles nur vorspielen könnte. Oh, süßer Schauer! Oskar Loerke hat es bei seinen Wanderungen wenigstens bis zum „Wald der Welt“ geschafft. Dort kann er dann sagen: „Meine Verse erzählen mehr, als sie singen...“

Gerold Paul

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