Potsdam-Mittelmark: Was ist ein Waldviertel ohne Wald?
An der Annastraße sollen die Bäume Häusern weichen. Das Verfahren beginnt mit heftigem Bürgerprotest
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An der Annastraße sollen die Bäume Häusern weichen. Das Verfahren beginnt mit heftigem Bürgerprotest Von Volker Eckert Stahnsdorf - Auf dem Papier klang es nach einer faden Veranstaltung, was da am Mittwochabend im Stahnsdorfer Gemeindezentrum angesetzt war: „frühzeitige Bürgerbeteiligung“. Aber es kam anders: Über zwei Stunden wurde polemisiert, Beifall geklatscht und höhnisch gelacht, Pamphlete verlesen und Gesetze zitiert, mit Anwälten gedroht und mit Tränen gekämpft. Worum ging es? Um ein Stück Wald, das abgeholzt werden soll. Das steht zwischen Annastraße und Markhofstraße und gehört größtenteils der Evangelischen Kirche. Die wiederum braucht Geld für ein neues Gemeindezentrum und will das Gelände daher vermarkten. Ein Interessent ist schon gefunden: Stern-Immobilien aus Potsdam würde das Gebiet von der Kirche per Erbpacht übernehmen, bebauen und vermarkten. Vertreter der Firma und die Architektin stellten ihre Pläne nun am Mittwoch den Anwohnern vor. Sie stießen auf heftigen Widerstand. Rund 150 Anwohner drängten sich im großen Saal, die Stühle reichten nicht für alle, manche brachten Kinder mit und Babys. Und sie machten klar, dass sie an dem Stück Grün hängen, das die Architektin Dagmar Menzel als „doch recht ungepflegtes Stückchen Erde“ bezeichnete, wofür sie Pfiffe erntete. „Der Wald ist der Namensgeber des Viertels“, entgegnete Robert Voigt von der Bürgerinitiative (BI) Waldviertel. „Die Leute sind nicht umsonst hergezogen.“ In einem Flugblatt heißt es, Zuzügler seien noch vor anderthalb Jahren mit dem Hinweis gelockt worden, dass der Wald bleibe. Das Argument, die Fläche sei eine verwilderte Brache, versuchte SPD-Gemeindevertreter Peter Ernst zu entkräften. Nach den neuen Naturschutz- und Waldgesetzen sei die Fläche als Wald einzustufen und in innerörtllicher Lage schützenswert. Für den momentan schlechten Zustand machte er die Gemeinde verantwortlich, die ihrer Verantwortung für die Pflege nicht nachgekommen sei. Zunächst ergriff aber Bürgermeister Gerhard Enser (CDU) das Wort „als unmittelbar betroffener Nachbar“. Er schlug vor, die Gebäudehöhe auf neun Meter zu begrenzen und das benachbarte Stück, auf dem einst das Offizierscasino stand, als Grünfläche zu entwickeln. Später war Enser dann selbst Adressat von Nachfragen. Der Zeitplan des Vorhabens etwa erregte das Misstrauen vieler Anwesender. Im Februar hatte die Gemeindevertretung den Vorhabenerschließungsplan (VEP) 6 bestätigt. Kommende Woche steht eine Beschlussvorlage auf der Tagesordnung des Gremiums. Gegenstand ist die Umwandlung der Fläche in Bauland. „Hier werden Fakten geschaffen“, tönte es aus dem Publikum. Gerhard Enser widersprach: Es handle sich hier um zwei Verfahren, die unabhängig voneinander abliefen: hier die Zustimmung zur Umwandlung als förmlicher Akt gegenüber der Forstbehörde; dort das eigentliche Erschließungsverfahren, an dessen Ende die Gemeindevertretung den VEP genehmigt oder nicht. Überzeugen ließ sich davon aber kaum jemand. In einer Mitteilung deutete Enser gestern an, es werde nochmal geprüft, ob der Beschluss sich nach hinten verschieben lasse. Er sehe schließlich ein, dass zwischen beiden Verfahrensebenen psychologisch gesehen durchaus ein Zusammenhang bestehe, sagte er gestern gegenüber den PNN. Unermüdlich hinterfragten die Anwohner das Projekt von allen Seiten. Rechneten vor, dass man zu den vorgestellten Konditionen auch ein kreditfinanziertes Eigenheim bekomme, weshalb das Argument nicht greife, hier würde Eigenheime für kleinere Geldbeutel geschaffen. Kündigten jurischen Widerstand an. Pfarrer Peter Edert musste das Verhalten der Kirche rechtfertigen. Sogar Appelle an die Investoren, sich aus moralischen Gründen zurückzuziehen, wurden laut. Dietmar Otto von der SPD und PDS-Vertreter Werner Stang kündigten an, ihre Fraktionen würden gegen die Umwandlung in Bauland stimmen. Bürgermeister Gerhard Enser wollte eine solche Erklärung auf Nachfrage aber nicht geben. Zwar hatte er bekannt: „Ich gehöre zu denjenigen, die dieses Waldstück erhalten wollen.“ Für eine Festlegung an diesem Abend fehle ihm aber „die populistische Ader“. Auch Claus-Peter Martensen von der CDU vermied das. Auf die Frage eines Anwohners, wieso der Beschluss im Februar überhaupt gefasst worden sei, antwortete er: „Es gab keinen Grund dagegen, ganz einfach.“
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