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Potsdam-Mittelmark: Was von Luther bleibt

Zum Auftakt des Literaturfestivals Lit:potsdam im Schloss Reckahn stand das Vermächtnis der Reformation zur Diskussion

Stand:

Reckahn - Die Ohren sauber und die Hände gewaschen? Anders kamen die Schulbuben und Schulbubinnen um 1775 gar nicht erst in das gerade errichtete Dorfschulhaus zu Reckahn hinein. Immerhin, für Saumselige gab es zwischen Haustür und Klassenzimmer, gleich neben der Schulglocke, ja eine Nachwaschgelegenheit. Dann ein Knicks der Mädchen für die Lehrerin, einen Diener dem Herren Lehrer, und schon konnte es losgehen im aufgeklärten Dorf südlich der Stadt Brandenburg, wo mit Gutsherr Friedrich Eberhard von Rochow eines der ersten und sogar international vielbeachteten Reformschulprojekte in Deutschland entstand. Der Unterricht begann mit einem gemeinsamen Gebet, dass hier niemand „Böses“ lerne. Ob „die Aufklärung“ nun böse ist oder nicht, mag dahingestellt sein, sie stand auch am Wochenende beim Literaturfestival „Reformation und Leselust“ im Zentrum des Reckahnschen Anwesens. Der Verein „Lit:potsdam“ hatte sich, wie schon im letzten Jahr, eine Sommerfrische mit prominenten Gästen genehmigt; der Hauptteil findet vom 5. bis zum 9 Juli in Potsdam statt.

Kalter Samstagsregen über dem Ort. Die Wiese im Rochowschen Gutspark frisch gemäht, leere Zelte mit Sitzbänken davor verweisen auf den Open-Air-Charakter des Festivals. Die „Landfrauen aus Krahne und Umgebung“ sorgten unterm eigenen Dach für den Nachmittags-Snack. Daneben der mobile Verkauf von Wild-Spezialitäten aus dem nahen Fläming. Wenig Besuch, mit den Akteuren kamen am Sonnabend etwa 40 zusammen – aus Brandenburg, Potsdam, Potsdam-Mittelmark und Berlin. Der Salon im ersten Stock mit seinen fünf Panoramafenstern nahm sie alle auf, schließlich ging es ja weniger um Luthers tief theologische Gründe, sondern wie man ihn heute zu sehen beliebt, ein gewaltiger Unterschied. „Starke Worte – schöne Orte“ also, so der Titel des Festivals. In diesen feingeistigen Konsens-Zeiten für manchen zu stark, was Luther da über die Juden, die Frauen und die Bauern von sich gab. Buchautor Bruno Preisendörfer, der auch den Einführungsvortrag hielt, fand diesen Part des Reformators „einfach nur widerlich“. Ein interessanter Mann, der seinen Max Weber oder Adorno gelesen hatte: So behauptete er, dass man aus der Geschichte nichts lernen („vollkommen absurd“) könne, bestenfalls „das Bewusstsein eigener Endlichkeit“. Er stellte Luthers Reformation ins damalige Endzeitdenken: Die Türken vor Wien, der Antichrist auf dem Stuhl Petri, die Bauernkriege vor Ort. Im Gegensatz zu Münzer war er für ihn „ein mäßiger Apokalyptiker“, einer mit großem Ordnungssinn. Für die innerreformatorischen Kriege fand er aktuelles Vokabular wie „Hetzschrift“ oder „Hasskommentar“. Wäre Luther „politisch korrekt“ gewesen, hätte es eine Reformation nie gegeben.

Es folgte die Welturaufführung des noch unfertigen Theaterstücks „Der Luther-Fluch“ von Moritz Rinke, auch so ein Zeitgeistiger. Ursprünglich im Auftrag „der Kirche“ begonnen, lehnte diese seine freisinnigen Dramatik über Luthers Hochzeit mit seiner Käthe ab, zumal er ausgerechnet eine Muslima das sagen lässt, was schon Lessing im „Nathan“ von sich gab. Und noch mehr. Die anschließende Diskussion befand Luther mit deutlicher Ratlosigkeit „sehr widersprüchlich“: Schwer, zu schwer für manch heutigen Kluggeist. Warum können ausgerechnet die Geistklugen so schlecht mit Widersprüchen umgehen? Das stets präsente Thema der Frauen-Gleichstellung selbstverständlich ausgenommen.

Sonntagvormittag dann trotz zugezogenen Himmels Open-Air. Gut hundert Besucher, dieselben Auto-Nummern wie am Samstag. Für Heiner Geißler, von 1982 bis 1985 Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit und von 1977 bis 1989 Generalsekretär der CDU, war kurzfristig Christoph Stölzl (CDU) eingesprungen, Historiker, Museologe, Präsident der Musikhochschule Weimar. Geißler nahm am Samstag an der Beerdigung von Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Dom zu Speyer teil.

Mit Stölzl, der von 2000 bis 2001 auch Berliner Wissenschaftssenator war, Brandenburgs Kulturministerin Martina Münch (SPD), dem Theologen Thies Gundlach und dem deutsch-türkischen Autor Feridun Zaimoglu erhob sich auch so eine wunderbar kontroverse Diskussion. Es ging um „basics“ wie „Was hält uns zusammen?“, solle man andere Religionen integrieren, und wie wäre Luthers „Türöffnung“ weiterzutragen? Während Münch und Gundlach („dürfen nicht überheblich werden“) für Zurückhaltung und mehr Sinn für die anderen plädierten, war für Stölzl „nicht verhandelbar“, was die ethischen Grundlagen der „christlichen Aufklärung“ betrifft. Was vom „Luther-Impuls“ werde unseren Kindern heute überhaupt noch mitgegeben? Hinterfragen statt Auswendiglernen, und meinte damit so manchen „Katechismus“. Stölzl setzt also auf eine aktivierte Kirche, die ihren „Missionsauftrag“ wieder ernstnimmt, und die vor allem „wieder lauter werden muss“. Das fängt bei Ohren und Händen wohl an.Gerold Paul

Gerold Paul

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