Potsdam-Mittelmark: Wenn der Feldwebel die Krawatte richtet
Der Ton bei der Bundeswehr ist ruhiger geworden – denn wer jetzt noch dient, macht es freiwillig
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Beelitz – Nein, Christina Rümenapp möchte keine Kavaliere an ihrer Seite, zumindest nicht im Job. Sie wird ihren Rucksack selber tragen, die Hindernisbahn aus eigener Kraft bewältigen – und in den kommenden zwölf Monaten sicher noch den einen oder anderen männlichen Kameraden in die Tasche stecken. Die Bundeswehr sei für sie ein Ort der völligen Gleichberechtigung, sagt die 19-Jährige. Und fügt mit entschlossenem Blick hinzu: „Im Einsatz geht es ja auch nicht anders.“ Die gebürtige Dresdnerin hat in der vergangenen Woche ihren freiwilligen Wehrdienst beim Beelitzer Logistikbataillon 172 angetreten – als eine von insgesamt 121 neuen Rekruten. 113 davon haben sich für weniger als zwei Jahre verpflichtet.
Die Zahl dieser freiwillig Wehrdienstleistenden ist beachtlich, in Beelitz sind alle Planstellen besetzt. Damit ist auch nach dem Aussetzen der Wehrpflicht zum 30. Juni die Ausbildungskompanie der Logistiker voll geworden – wenn auch ein paar Rekruten inzwischen wieder die Heimreise angetreten haben. Der streng geregelte Kasernenalltag ist eben nichts für jeden. Dabei ist der Umgangston bei der Fahne längst ein anderer geworden.
Rümenapps Ausbildungszug übte gestern Marschieren im hinteren Kasernenbereich: „Rechts um! Augen gerade aus! Richt’ Euch...“ – statt die Kommandos zu brüllen, ist der Hauptfeldwebel gerade mal so laut, dass ihn jeder hören kann. Drill bis an die Grenze zur Schikane hat keinen Platz mehr in der modernen Bundeswehr. Wer jetzt noch dient, tut es aus freien Stücken und folgt den Befehlen bereitwillig. Wer nicht mehr möchte, kann innerhalb der ersten sechs Monate jederzeit seine Koffer packen. Diese „Probezeit“ gehört zu den Neuerungen im Soldatsein.
Die neue Beelitzer Ausbildungskompanie bestehe aus motivierten und qualifizierten Leuten, wie Bataillonskommandeur Boris Nannt unterstreicht. Die Hälfte der Rekruten hat Abitur, die andere eine abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung. So wie Steven Bahlmann. Der 21-jährige Berliner hat eine Lehre als Bürokaufmann absolviert. „Aber das war eine sehr monotone Arbeit“, erinnert er sich. Das Werbeschreiben vom Kreiswehrersatzamt sei ihm da gerade recht gekommen. Und weil fast alle Männer in seiner Familie „gedient“ haben und viel Gutes zu berichten wussten, setze er die Tradition nun freiwillig fort.
Die Schützen Rümenapp und Bahlmann zeigen, dass das Ende der Wehrpflicht nicht das Ende der Bundeswehr sein wird. Beide liebäugeln mit einer Unteroffiziers-Laufbahn, haben sich aber erst einmal für höchstens ein Jahr verpflichtet. Sie wollen einen ersten Eindruck gewinnen, bevor sie sich für eine Karriere beim Bund entscheiden. Für die Bundeswehr gilt es, solche Leute zu halten. Und das ist auch bei den Ausbildern angekommen: Bahlmanns Zug ist im Flur des Kompaniegebäudes angetreten. Die Soldaten tragen den Dienstanzug und lernen, wie er zu sitzen hat. Und da nicht jeder Krawatten binden kann, gibt es geduldige Hilfestellung vom Feldwebel.
Die Nachwuchsgewinnung hat sich in der Zieten-Kaserne eingepegelt. Die großangelegte Werbung für den Dienst an der Waffe durch zentrale Stellen sei nur die eine Seite, meint Oberstleutnant Nannt und erklärt: „Wir wollen hier auch einen regionalen Bezug herstellen.“ Deshalb lade man Schüler zu Projekttagen in die Kaserne und besuche diese auch im Klassenzimmer. „Dabei soll ein positives, aber kein geschöntes Bild vermittelt werden.“
Immer werde auch auf die Gefahren eines Auslandseinsatzes hingewiesen. Der Kommandeur reagiert damit auf die Kritik mancher Eltern und Verbände an der Werbungspraxis. Gefahr, plötzlich im nächsten Flieger nach Afghanistan zu sitzen, laufen einfache Soldaten ohnehin nicht: „Wer unter zwölf Monate dient, geht auf keinen Fall in den Einsatz“, sagt Boris Nannt. Denn nur nach einer langen Spezialausbildung könne man so etwas verantworten. Und in der geht es dann auch härter zu.
Die Ausbildungskompanie bereitet sich zurzeit auf ein anderes Ereignis vor: Bis zum Gelöbnis am 20. Juli in Berlin machen die sogenannten „Formaldienste“ wie Marschieren und Präsentieren den Schwerpunkt aus. Und natürlich werden die Rekruten über den Hintergrund dieses denkwürdigen Datums unterrichtet, an dem preußische Offiziere 1944 ein Attentat auf Adolf Hitler versuchten. Ein Aufstand des Gewissens, aus dem die Bundeswehr noch heute ihre Daseinsberechtigung zieht – und mit dem sie um Bürger wie Christina Rümenapp und Steven Bahlmann wirbt, statt um Söldner.
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