Potsdam-Mittelmark: Werderaner Versprechungen
Erhard Schulz sammelt Postkarten der Blütenstadt / Ab morgen wird ein Teil seiner Sammlung ausgestellt
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Werder (Havel) - Die Inselstadt im kalten Licht, die Inselstadt im Sonnenuntergang, mit Wolken, ohne Wolken, in Sepia und Schwarzweiß – aus einem Foto von 1918 ließen sich mit Retusche und Papier bis 1925 zahllose Varianten herstellen. Erhard Schulz staunt manchmal, wie oft Werders fotografische Ahnen dasselbe Motiv nochmal und nochmal verwerteten. „Da gibt es oft vier, fünf Varianten von einer Aufnahme.“ Manche dieser Bilder sind so stark coloriert und retuschiert, dass man ihren fotografischen Ursprung kaum noch erkennt.
Erhard Schulz, Werderscher, sammelt Postkarten. Mit seinem Archiv mit über 1500 Bildern sorgt er dafür, dass historische Schriften und Artikel über die Blütenstadt reich illustriert werden können. Viele Daten lassen sich auf diesem Weg rekonstruieren: Vom Abriss der Ziegelei auf dem Hartplatz, dem Bau der Maria-Meeresstern-Kirche oder dem Ballsaal der Bismarckhöhe, vom Wachstum der Eichen an der Uferpromenade, den Karl-May-Festspielen 1940 im Stadtpark, Vereinsjubiläen
Ansichten im Wandel der Zeiten: Während bis zum Zweiten Weltkrieg die Höhengaststätten im Mittelpunkt des Interesses standen, legten DDR-Fotografen ein schwarzweißes Zeugnis vom Verfall der Inselstadt und City ab. Während bis in die 30er Jahre hinein mit der blühenden Obstflur für Werder geworben wurde, rückten in der DDR unerklärlich immer wieder Schwäne in den Vordergrund – vielleicht damit die Tiefenschärfe 1964 nicht auch für die realsozialistischen Wäscheleinen direkt an der Föhse reichte. Immerhin – retuschiert wurde nicht mehr.
Schulz sammelt von Kindheit an. Auf Postkartenbörsen und bei Ebay stößt er heute auf die teils seltenen Stücke, für die man leicht 30 Euro hinblättert. Seine älteste Karte von 1894 zeigt die Gerlachshöhe, neben Friedrichs- und Bismarckhöhe eine der weniger bekannten Höhengaststätten am Hohen Weg. Zum 690. Geburtstag von Werder werden einige der Postkarten ab morgen im Alten Rathaus ausgestellt (Vernissage um 18 Uhr). Es ist das zweite Mal, dass ein Ausschnitt der Sammlung öffentlich zu sehen ist.
Die erste Ausstellung gab es 1982, unmittelbar nach Gründung der „Arbeitsgemeinschaft Heimatgeschichte“ im DDR-Kulturbund, aus der nach der Wende der Heimatverein hervorgegangen ist. Erhard Schulz gehörte zu den Mitbegründern der AG, hat dem Heimatverein die Treue gehalten. In den jährlichen Heimathistorischen Beiträgen des Vereins ist Schulz stets mit mehreren Postkarten und eigenen Erklärungen präsent, publizierte zu dessen Lebzeiten auch mit Heimathistoriker Reimar Golz. Das alles neben seiner Berufslaufbahn, die als Diplom-Ingenieur beim Schaltgerätewerk begann. Jetzt arbeitet der Familienvater und Großvater bei der Caputher Tischlerei Hüller & Lüdecke, war sinnigerweise Fachbauleiter der Tischlerbauten bei der Sanierung des Ballsaals der Bismarckhöhe, die er aus allen Winkeln kennt.
Höhengaststätten und Restaurants nutzten Postkarten einst zur Eigenwerbung – aber auch Unternehmen wie die Saftfabrik im Lendelhaus, die 1907 ein Schild mit den Obstweinpreisen ins blühende Motiv montierte. Mit der Wirklichkeit war es so eine Sache: In einer Aufnahme von 1905 wurden die beiden Mühlen aus dem Stadtpark in die Obstflur gestellt, und am Hang der Bismarckhöhe blühten 1906 Kirschen, wo gar keine standen. „Hauptsache schön“, sagt Erhard Schulz. Die Berliner waren von den aufgeputzten Versprechungen nicht enttäuscht – und blieben Werder treu.
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