Potsdam-Mittelmark: Widerstand im Pfarrhaus
Viktor Hasse trat für Verfolgte ein
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Ausgehorcht wurde sie. Vom eigenen Schuldirektor. Er fragte, wer im Hause ihrer Eltern in Babelsberg zu Besuch komme. Damit wollte der Schulleiter ihr kindliches Vertrauen wohl ausnutzen. „Ich war ja erst eine dumme Göre“, sagt Annemarie Gülzow heute, und meint damit ihre Kinderzeit im Nazi-Deutschland. Viele Gäste des elterlichen Pfarrhauses standen in Opposition zu den herrschenden braunen Machthabern. Hier im Haus Lutherstraße 1 in Babelsberg, bei Pfarrer Viktor Hasse, gaben sich Vertreter der Bekennenden Kirche die Klinke in die Hand. Auf die Frage nach den Besuchern sollte Tochter Annemarie dem Rat ihres Vaters zufolge dennoch freilich immer sagen: „Das weiß ich nicht.“
Von ihren Erinnerungen an diese dunkle Zeit der 1930er- und 1940er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts berichtete Annemarie Gülzow am vergangenen Freitag auf einer Podiumsdiskussion in der Französischen Kirche anlässlich der Eröffnung einer von Berliner Schülern gestalteten Ausstellung, die das Verhältnis von Kirche und NS-Staat thematisiert.
Erst allmählich habe sie als Kind damals mitbekommen, dass der Staat die Aktivitäten ihres Vaters, der Pfarrer an der Friedrichskirche war, immer stärker missbilligte. Die Nazis durchsuchten das Pfarrhaus, verhafteten den Geistlichen mehrmals und verweigerten ihm zeitweise das Gehalt. Wirtschaftlich trafen die Machthaber damit die ganze Familie. Pfarrer Viktor Hasse und seine Frau Elisabeth hatten immerhin fünf Kinder zu versorgen. Die Familie habe während der Gehaltssperre von Spenden leben müssen. Besonders häufig sei ihr dabei Unterstützung von Mitgliedern der Bekennenden Kirche in Mecklenburg zuteilgeworden.
Immer wieder gingen die Nazis gegen Hasse vor, weil er ihnen als aktives Mitglied der Bekennenden Kirche ein Dorn im Auge war. So gedachte er in seinen Gottesdiensten verschiedener Menschen, die aus politischen Gründen inhaftiert waren. 1941 wurde Hasse erneut für mehrere Wochen inhaftiert. In einer handschriftlichen Notiz, die der heutige Oberkirchenrat Martin Vogel 1997 in einer wissenschaftlichen Arbeit veröffentlichte, schreibt Hasse, die Haft habe ihn derart geschwächt, dass er einen vollkommenen Nervenzusammenbruch „infolge schwerer Eindrücke im Gefängnis“ erlitten habe. Hasse, Jahrgang 1885, wurde berufsunfähig, erlebte aber dennoch das Kriegsende. Der jahrelang gesundheitlich geschwächte Vater von Annemarie Gülzow starb 1946. HC
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