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INTERVIEW: „Wie stellt eine Behörde das praktisch fest?“

Herr Schmidt unabhängig vom Fall Kosanke interessiert uns: Darf ich in Brandenburg an einer Kommunalwahl teilnehmen, wenn ich mich drei Tage vorher vor Ort anmelde, im Amt einen Mietvertrag mit Mietbeginn erst einen Monat später vorlege, einen Schlüssel bekomme ..

Herr Schmidt unabhängig vom Fall Kosanke interessiert uns: Darf ich in Brandenburg an einer Kommunalwahl teilnehmen, wenn ich mich drei Tage vorher vor Ort anmelde, im Amt einen Mietvertrag mit Mietbeginn erst einen Monat später vorlege, einen Schlüssel bekomme ... also mein Lebensmittelpunkt fraglich ist?

Für die Teilnahme an einer Kommunalwahl ist nach Paragraph acht des brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes erforderlich, dass der Betreffende im Wahlgebiet seinen ständigen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Es gibt also zwei Möglichkeiten, diese Voraussetzung zu erfüllen: Verfügt jemand über eine Haupt- und eine oder mehrere Nebenwohnungen, so wird gemäß Kommunalwahlgesetz der ständige Wohnsitz am Ort der melderechtlichen Hauptwohnung vermutet. Diese Vermutung kann widerlegt werden, wenn etwa der Wohnungsinhaber seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt am Ort der Nebenwohnung innehat und dies nachweist. Der gewöhnliche Aufenthalt ist dort, wo sich jemand unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Legt jemand bei seiner Anmeldung in einer Gemeinde den Mietvertrag vor und erhält er den Wohnungsschlüssel, so bedeutet dies zwar nicht ausnahmslos, dass er dort de facto eine Wohnung oder ständigen Aufenthaltsort hat. Gleichwohl stellt sich die Frage, wie eine Behörde praktisch feststellen soll, ob die Räumlichkeiten tatsächlich zum Wohnen und Schlafen genutzt werden. Mietvertrag und Schlüssel legen das Vorhandensein einer Wohnung oder eines ständigen Wohnsitzes schon sehr nahe. Auf die Zeitspanne zwischen Anmeldung in einer Gemeinde und Teilnahme an der Wahl dort kommt es hingegen nicht an, da Brandenburg die Drei-Monats-Sperrfrist abgeschafft hat. Insofern ist die Rechtslage eindeutig.

Was macht einen Teil der Habe aus, um einen Niederlassungswillen abzuleiten? Reichen Handtuch und Schlafsack?

Welche Gegenstände auf einen Niederlassungswillen schließen lassen, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalles. Manche Menschen kommen gänzlich ohne Küche aus, andere können ohne diese nicht leben. Man wird wohl verlangen können, dass jemand aufgrund seiner in der Wohnung vorhandenen Habe wenigstens in der Lage ist, dort zu übernachten und sich selbst zu ernähren, wenngleich in Zeiten von Pizzalieferanten nicht allzu hohe Anforderungen an die Ernährung gestellt werden sollten. Insofern kann schon ein einzelner Schlafsack die Übernachtungsmöglichkeit gewährleisten, soweit die Ernährung ebenfalls sichergestellt ist.

Nach Aktenlage hat das Ordnungsamt im Fall Kosanke nach der Wahl festgestellt, dass unter der Meldeadresse niemand wohnt, niemand wohnen konnte. Darf man also an einer Wahl teilnehmen, wenn man sich zwar angemeldet hat, aber am Ort gar nicht wohnt?

Zunächst ist für die Teilnahme an einer Kommunalwahl in Brandenburg gemäß Kommunalwahlgesetz entscheidend, dass der Wähler in das Wählerverzeichnis eingetragen ist. Hat der Betreffende sich aber angemeldet, obwohl er tatsächlich über gar keine Wohnung verfügt, ist das Wählerverzeichnis unrichtig und gegebenenfalls von Amts wegen zu korrigieren. Wer an einer Wahl teilnimmt, ohne dazu berechtigt zu sein, begeht möglicherweise eine Wahlfälschung gemäß Paragraph 107a Strafgesetzbuch.

Interview: Alexander Fröhlich

Professor Dr. Thorsten Ingo Schmidt, 1972 geboren in Kassel, lehrt an der Universität Potsdam Öffentliches Recht, Verwaltungs- und Kommunalrecht.

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