Kriegsende in Potsdam-Mittelmark: Wie Werder sich ergab
Die Stadt wurde vor 70 Jahren kampflos der Roten Armee übergeben. In einem Buch werden erstmals die damaligen Geschehnisse beleuchtet.
Stand:
Werder (Havel) - Werder war eine Garnisonstadt mit einem Fliegerhorst der Luftwaffe, das Hauptquartier von Reichsmarschall Göring war gleich in Wildpark- West. Doch kein einziger Schuss fällt, als Rotarmisten am 3. Mai 1945 in Werder einmarschieren. Es sind wenige Zeilen, die die Stadt vor der Zerstörung bewahren: „Werder hat im Frieden etwa 11 000, jetzt mit den Flüchtlingen etwa 18 bis 20 000 Einwohner. Kampfkräfte befinden sich nicht in der Stadt. Es sind hier 3 größere Lazarette mit etwa 1100 bis 1200 Verwundeten, darunter Schwerverwundete, eingerichtet. Demgemäß erkläre ich Werder zur Lazarettstadt. Ich bitte um Bekanntgabe der Bedingungen, unter denen ein Beschuss unterbleiben würde.“
Aufgesetzt und unterschrieben hatte sie der Werderaner Arzt Johannes Bamberg, Standortarzt für die 21 Kriegsgefangenenlager der Region und drei Lazarette. Am 3. Mai kommt die Antwort des sowjetischen Stabes von der anderen Havelseite: Alle Häuser seien mit weißen Fahnen zu versehen, die Einwohner sollten beim Einmarsch der Rotarmisten in den Häusern bleiben und die Übergabe um 18 Uhr stattfinden. So kommt es, wobei befreite Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene die Truppen mit Fliedersträußen freudig in Empfang nahmen. Ein Besucher, der einige Tage später durch Werder geht, staunt, dass nicht mal eine Fensterscheibe zersprungen ist.
Was war Dichtung, was war Wahrheit?
70 Jahre nach Kriegsende sind die Geschehnisse jener Zeit in einem Buch dokumentiert, das im Potsdamer Knotenpunktverlag erschienen ist. Titel: „Werder (Havel) 1945. Zwischen fünf vor zwölf und fünf nach zwölf.“ Geschrieben haben es zwei alte Herren aus dem Werderaner Heimatverein, die diese Zeit noch selbst erlebten: Kurt Pape (86) und Alfred Schultze (81) glichen in jahrelanger Kleinarbeit ab, was von den Geschichten und Legenden von damals Dichtung und was Wahrheit ist.
Die aussichtslose Stimmung wird gut erklärt, Armeen der Belorussischen und Ukrainischen Front hatten am 25. April in Ketzin den Kessel um Berlin geschlossen. Werders Bürgermeister Georg Mertes – als Gauredner und Kreisleiter der NSDAP eine Nazigröße ersten Kalibers – erklärt am Tag darauf bei einer außerordentlichen Sitzung des Stadtrats, er würde sich „auf keinen Fall zu einer Verteidigung der Stadt entschließen und sein Amt zur Verfügung stellen“, um den Stadtrat durch seine Einstellung nicht zu beeinflussen. Mertes wird gebeten, zu bleiben. Er wird freilich noch am Abend von einem Wehrmachtsoffizier abgeführt.
Bislang unveröffentlichte Fotos
Am selben Tag, so ist in dem neuen Buch dokumentiert, wird durch Kompanieführer Ludwig Zimmermann eine ganze Volkssturmkompanie in Werder aufgelöst. Kurz darauf kommt es zur Auflösung einer weiteren Kompanie – diesmal durch das mutige Eingreifen von Lazarettchef Bamberg: Die Einheit war auf einem seiner Lazarettgelände Unter den Linden in Stellung gegangen. Bamberg zitiert die Genfer Konvention, verweist die Kompanie vom Gelände und wird dafür von Kompaniechef Müller schon mit Erschießung bedroht. Doch als Bamberg an die Volkssturmleute appelliert, die Waffen fortzuwerfen und nach Hause zu gehen, und die das auch tun, ist es unverhofft aus mit Müllers Autorität.
Die Buchautoren Kurt Pape und Alfred Schultze tauchten ein in Stadt-, Kreis- und Landesarchive, forschten in Entnazifizierungs- und Enteignungsakten. Und sie nahmen gern die Unterstützung an, die ihnen vom Heimatvereinschef, dem Historiker Klaus Froh, und vom Knotenpunkt-Verleger Rainer Lambrecht angeboten wurde. Das Ergebnis ist ein 200-seitiges, flüssig geschriebenes Buch, illustriert mit bislang teils unveröffentlichten Fotos und Originaldokumenten. Es rekonstruiert detailreich die Geschehnisse der kampflosen Übergabe, der Monate davor und danach aus verschiedenen Blickwinkeln. Das Schicksal von Kriegsgefangenen, Flüchtlingen und Zwangsarbeitern ist ebenso notiert wie der Schulbetrieb in jenen Monaten, die Granateinschläge am Plantagenplatz und auf der Inselbrücke mit drei Toten und Werders Versorgungslage. Ausführlich wird sich den Details der Kapitulation gewidmet.
Werder als Lazarettstadt
Obstzüchter Fritz Lendel war Mitglied der durch Johannes Bamberg aufgelösten Volkssturmeinheit. Dass die Telefonverbindung nach Wildpark-West noch funktioniert, ist ein Glück für die Stadt. Die andere Havelseite ist bereits durch Rotarmisten besetzt. Lendel erzählt dem dort lebenden Zahnarzt Erwin Velten am Telefon von der mutigen Tat des Werderaner Lazarettchefs. Velten wiederum erwähnt den Vorfall gegenüber in seinem Haus einquartierten russischen Offizieren, lässt sie nebenbei wissen, dass man Werder als Lazarettstadt bezeichnen müsse.
Der sowjetische Stab beauftragte Erwin Velten am 2. Mai, rüber nach Werder zu rudern und Bamberg zur kampflosen Übergabe der Stadt aufzufordern. Bamberg ist sofort dazu bereit, doch da gibt es noch Werders Stadtkommandanten Meyer. Als der zögert, ein Kapitulationsangebot zu unterzeichnen, tut es Bamberg selbst. Er rudert noch Velten nach Wildpark-West hinterher, um sicherzugehen, dass das Schriftstück seine Adressaten erreicht.
Von brutalen Übergriffen blieben Werderaner verschont
Die neuen Besatzer sammeln auch in Werder Uhren, Schmuck und Fahrräder bei der Bevölkerung ein, auch mit vorgehaltener Waffe. Doch von brutalen Übergriffen, von Vergewaltigungen, wie sie aus der Umgebung bekannt waren, sei Werder unter dem russischen Stadtkommandant Marzen weitgehend verschont geblieben. Die kampflose Übergabe Werders, aber auch dass am 3. Mai zugleich die Schlacht um Berlin gewonnen war, könnte der Grund dafür gewesen sein, glauben die beiden Autoren.
Werders Heimatvereinschef Froh ist froh, dass über diese Zeit endlich gesicherte Erkenntnisse vorliegen. Es sei eine Leistung, die Geschehnisse nach so vielen Jahrzehnten authentisch darzustellen. Mit Papes und Schultzes Buch, meint Froh, werde die kampflose Übergabe der Stadt erstmals umfassend gewürdigt.
„Werder 1945“ wird am 19. Mai um 19.30 Uhr vom Heimatverein im Schützenhaus, Uferstraße 10, vorgestellt und ist danach in Werderaner Buchhandlungen und im Internet für 12,90 Euro zu erwerben
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