
© Johanna Bergmann
Fercher Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge: Willkommen in Ferch
Seit einem Jahr gibt es das Schwielowseer Hilfsnetzwerk für Flüchtlinge. Das Ziel: Die Zeit in der Fercher Erstaufnahmestelle nutzen. Ein Besuch vor Ort.
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Schwielowsee - „Geeeelb, grüüün, blaau“ – die Vokale langgezogen, im Chor ertönen die Worte. Deutschunterricht in der Fercher Erstaufnahmestelle, heute sind Farben dran. In der ersten Reihe sitzen zwei Frauen, neben ihnen zwei Männer. Konzentriert blicken sie auf den Mund ihrer Lehrerin, während sich hinter ihren Rücken, draußen am Fenster, Kinder die Nase platt drücken. Sie haben an den Vormittagen in den Räumen Unterricht, nachmittags sind die Erwachsenen dran. Fast zwei Stunden wird gebüffelt, am Rande der Klasse sitzt ein 34 Jahre alter Mann aus Afghanistan. Schüchtern schaut er auf, vor ihm auf dem Papier stehen einzelne Buchstaben. Der junge Familienvater ist Analphabet, heute bekommt er Einzelunterricht. Susanne Schaarschmidt ist stolz auf ihren Schüler, er hatte den Mut sich zu outen. Bis in drei oder vier Wochen, wenn er in ein weiteres Heim verlegt wird, will sie ihm einiges beigebracht haben.
Susanne Schaarschmidt fährt seit gut einem Jahr fast täglich nach Ferch raus, auf das alte Bundeswehrareal im Gewerbegebiet. Dort haben bis zu 300 Flüchtlinge Platz, derzeit leben dort 90. Aus der zentralen Aufnahmestelle in Eisenhüttenstadt kommen seit Anfang des Jahres nur noch wenige Busse. Wenige Flüchtlinge bedeutet für Susanne Schaarschmidt kleinere Klassen und intensiveren Unterricht. Meist bringt die Lehrerin weitere Ehrenamtliche zum Sprachunterricht mit, heute sind sie zu dritt. An fünf Tagen pro Woche wird Deutschunterricht angeboten, was dankbar angenommen werde, sagt Susanne Schaarschmidt. Auch die Bereitschaft, zu helfen, sei groß: „Wir haben eine Warteliste an Freiwilligen, aber leider zu wenig Räume für unser Angebot“, so die 55-Jährige. Sie koordiniert die Sprachgruppe, eine von insgesamt neun Gruppen des Hilfsnetzwerks aus Schwielowsee, das den Flüchtlingen zahlreiche Angebote macht.
Viele Unterstützer für das Hilfsnetzwerk
Was das Hilfsnetzwerk in nur einem Jahr – Mitte Dezember 2014 kamen die ersten Flüchtlinge – auf die Beine gestellt hat, sucht seinesgleichen: Zwei Musiker der Berliner Philharmoniker kamen mit Violine und Harfe vorbei, auch renommierte Stipendiaten der Yehudi Menuhin Stiftung spielten vor Ort. Im Sommer wurde ein Kräuterbeet angelegt, für die Kinder wurde ein Sandkasten gebaut. Demnächst soll es eine Tischtennisplatte und eine Torwand geben. Fahrräder wurden bereitgestellt, selbst einen Shuttle mit Privatfahrzeugen hatte man organisiert – die Unterkunft ist mehrere Kilometer etwa von Supermärkten entfernt. Die Kontakte aus Schwielowsee können sich sehen lassen: Zu den Unterstützern zählt auch der Potsdamer Modedesigner Wolfgang Joop. Insgesamt seien im vergangenen Jahr rund 6000 Euro zusammengekommen. Es gebe mehrere recht solvente Einzelspender, sagt Frank-Michael Theuer und lächelt.
Theuer hat zusammen mit vier anderen Mitstreitern, darunter der ehemalige Caputher Pfarrer Hans-Georg Baaske, das Netzwerk vor rund einem Jahr ins Leben gerufen. Erstaunt war man über das erste Treffen, „100 Interessierte kamen damals“, gerechnet habe man mit 20 bis 30. Von da an wurde die Idee eines Hilfsnetzwerks konkret: „An dem Abend wurden die Arbeitsgruppen gebildet, die Freiwilligen haben sich dort eingetragen.“ Heute organisieren sich die insgesamt neun Gruppen weitestgehend selbstständig, einmal im Monat kommen Vertreter der Gruppen mit den Netzwerkgründern zum Austausch zusammen. „Da erfahren wir dann, was in der Einrichtung fehlt“, so Theuer. Meist profane, aber dennoch wichtige Dinge wie Milch, aber auch Socken oder Unterwäsche.
Für einen bunteren Alltag in Fercher Erstaufnahmestelle
Dank des Netzwerks wird der triste Alltag im Flüchtlingsheim bunter: An Ostern wurden die wenigen Bäume auf dem Gelände geschmückt, im Sommer ein großes Fest gefeiert. Feiern gehört sowieso zum Standard: Einmal im Monat organisiert das Netzwerk mit Freiwilligen aus Werder und Schwielowsee ein Willkommensfest. „Anfangs wollten wir bei jeder neuen Busankunft die Flüchtlinge mit einem Umgebungsplan und einer Tüte Obst begrüßen“, so Theuer. Aber das sei nicht möglich gewesen – die Fluktuation sei dafür viel zu hoch. Wie lange die Asylbewerber in der Erstaufnahme bleiben, ist recht unterschiedlich. Derzeit liegt die Aufenthaltsdauer im Schnitt zwischen vier und acht Wochen. Im Ministerium wird darüber nachgedacht, Flüchtlinge, die keine Aussichten auf Asyl haben, gar nicht erst in die Landkreise und kreisfreien Städte zu schicken, sondern sie direkt von der Erstaufnahme heraus abzuschieben.
Ob Heimatland oder neues Domizil in Deutschland, der Abschied fällt vielen Ehrenamtlichen schwer, auch wenn man sich erst seit Kurzem kennt. Das Loslassen sei ein Problem, besonders wenn man wisse, dass die Abschiebung droht, sagt Theuer. Wenn Flüchtlinge, die sich für kurze Zeit sicher und geborgen fühlten, ob der drohenden Abschiebung in Tränen ausbrechen, dann „sind das Momente, in denen man das Leid der Welt spürt“, so Theuer. Man wisse, man könne nichts machen. Theuer hält inne, obwohl, vielleicht ließe sich doch etwas machen. „Es fehlt uns noch an Rechtsberatung, da hätten wir Bedarf.“
Ein Willkommen ermöglichen
In vielen anderen Bereichen wie Sport, Kochen, Spiele und Ausflüge für Jugendliche sowie bei den Kleiderspenden ist das Netzwerk gut aufgestellt und bestens ausgerüstet. Bis alles so reibungslos lief, war es dennoch ein langer Weg. Man habe Glück gehabt mit dem Betreiber, der offen für die Hilfe von außen ist, so Theuer. Anfang Februar soll das Deutsche Rote Kreuz die Erstaufnahme in Ferch übernehmen, derzeit ist Boss Sicherheitsdienste der Träger. Betrieben wird sie nicht wie ursprünglich geplant bis Ende 2016, sondern bis 2018 – für das Flüchtlingsnetzwerk eine gute Perspektive.
„Unser Anliegen ist es, ein Willkommen zu ermöglichen“, sagt die Lehrerin Susanne Schaarschmidt. Mit ihrer Willkommenskultur will Schaarschmidt auch viel von den Werten vermitteln, die in Deutschland gelten. Eine Gruppe von tschetschenischen Männern habe sie einmal als Lehrerin abgelehnt, sie sagten „no woman“ – eine Frau, die ihnen was beibringen sollte, akzeptierten sie nicht. Schaarschmidt war resolut und selbstbewusst: Sie erklärte ihnen, dass es hier eben so sei. „Es dauerte nicht lange, da kamen sie wieder, setzen sich an die Schulbänke und hatten sogar die Hausaufgaben gemacht“, erinnert sich die Frau lachend.
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