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Von Henry Klix: „Wir müssen nur stänkern“

Die Luftbrücke wirkte auch im Osten: Den Toten einer Werderaner Widerstandsgruppe wird jetzt ein Denkmal gewidmet

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Werder (Havel) - Die Berliner versorgte sie mit Lebensmitteln und Kohle, Menschen in der Sowjetische Besatzungszone mit Hoffnung. So erinnert sich Sigurd Blümcke an die Luftbrücke. Als die Russen die Blockade Westberlins am 12. Mai 1949 nach knapp elf Monaten wieder aufhoben, da war für einige Schüler der Carl-von-Ossietzky-Schule in Werder klar, dass sich Widerstand lohnt. Sigurd Blümcke war damals 16 Jahre alt. Die Zuversicht war trügerisch. Jetzt baut Blümcke auf dem Insel-Friedhof in Werder ein Denkmal für seine in Moskau liquidierten Freunde.

Die Werderaner Widerstandsgrüppchen, die sich seit dem Ende der Blockade in der Jungen Gemeinde, in der Kirchentheatergruppe und in der Ossietzky-Schule gebildet hatten, begehrten auf gegen die Vormachtstellung der SED und der Sowjets. Sie weigerten sich, an FDJ-Aufmärschen teilzunehmen, verteilten Flugblätter gegen die Volkskammerwahlen und klebten Plakate gegen die Unterdrückung der Kirche. „Dass die Westalliierten mit der Luftbrücke Erfolg hatten, gab uns ungeheuren Auftrieb“, erinnert sich Blümcke. „Wir dachten, wir müssen nur stänkern, dann wird alles anders.“

Für die Ossietzky-Schüler wurde der nach einem KZ-Aufenthalt zu Tode gekommene Weltbühne-Herausgeber und Nobelpreisträger Carl von Ossietzky zum Vorbild, der 1931 auf die verbotene Wiederaufrüstung der Wehrmacht aufmerksam gemacht hatte und sich später publizistisch den Nazis entgegengestellte. An der Schule gedieh derweil der Opportunismus. „Ein Lehrer, der früher Funktionär der Hitlerjugend war, erzählte uns im Blauhemd, dass wir für den Friedenserhalt eine DDR-Armee aufbauen müssen.“

Probleme erkennen und öffentlich machen, hieß die Devise. Als sie von Plänen für den Abriss von Schlössern und Kirchen in Potsdam hörten, brachten einige Schüler nachts ein Plakate am Obelisk vor der Nikolaikirche an: „Schützt unsere christlich-abendländischen Kulturstätten! Kommunismus ist kein Ersatz für Religion!“ Blümcke schätzt, dass etwa 50 Jugendliche aus Werder und Umgebung an ähnlichen Aktionen beteiligt waren. „Wir sahen, wie Westberlin aufblühte und bei uns mit Appellen und Stechschritt alles weiterlief wie vorher.“ Die Wiedervereinigung, der Erhalt christlicher Werte und freie Wahlen seien Themen auf Flugblättern gewesen, die in kleiner Anzahl heimlich auf geliehenen Schreibmaschinen getippt und in Briefkästen gesteckt wurden.

Blümcke wurde kurz vor der Volkskammerwahl am 13. Oktober 1950 mit drei Freunden verhaftet, saß sieben Monate im Potsdamer Stasiknast in der Bauhofstraße ein und wurde gefoltert, ohne die Anklage zu kennen. Zwei Freunde – Herbert Herrmann und Werner Bork – die rechtzeitig flüchten konnten, kontaktierten in Berlin die stramm antikommunistische „Kampfgruppe gegen Ungerechtigkeit“, verschärften die Aktivitäten und erteilten von Westberlin aus Aufträge nach Werder. Man war dankbar für die Hilfe.

Beim Druck von Flugblättern sollte es nicht bleiben, mit der Zeit waren die eingefleischten Widerständler mit geheimdienstlichen Aktionen des CIA und der Organisation Gehlen beauftragt, lieferten Berichte über Verladetätigkeiten am Bahnhof Werder, notierten Nummernschilder sowjetischer Militärfahrzeuge und berichteten über die Marmeladenversorgung sowjetischer Kasernen. Die Stasi blieb nicht untätig.

Im Juni 1951 wurden bei einer Verhaftungswelle 24 junge Menschen aus Werder und Umgebung festgenommen, im Spätsommer 1951 aufgeteilt: Zwölf blieben bei der Stasi in Haft, die anderem wurden dem sowjetischen NKWD übergeben. Im Januar 1952 wurden sieben der jungen Leute vom Sowjetischen Militärtribunal wegen Militärspionage zum Tode verurteilt, nach Moskau gebracht und in der Lubjanka erschossen: Günter Beggerow, Johanna und Karl-Heinz Kuhfuß, Wilhelm Schwarz, Joachim Trübe, Heinz Unger und Inge Wolf.

Sigurd Blümcke türmte in den Westen, traute sich erst 1976 wieder erstmals mit Herzklopfen auf die Transitstrecke durch die DDR. Der pensionierte Medizinprofessor, langjährige Chefarzt der Pathologie des Berliner FU-Klinikums und Hobbybildhauer schreibt jetzt ein Buch über diese Geschichte – und baut mit seiner Frau Gisela Blümcke in Werder ein Denkmal, Sinnbild der Trauer um die verlorenen Kinder, eine in Ketten gelegte weinende Mutter. „Ein anderer baut es ja nicht“, sagt der 75-Jährige.

Einweihung am 27. Juli um 14 Uhr, Friedhof der Heilig-Geist-Kirche

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