Potsdam-Mittelmark: Zeit für Schattenkinder
Der Verein Zuckerbaum organisiert auf einer Glindower Streuobstwiese eine unbeschwerte Ferienwoche für Kinder mit schwerkranken Geschwistern und ihren Müttern
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Werder (Havel) - Es liegt am Cappuccino. Eigentlich war die Woche auf der Streuobstwiese des Vereins Zuckerbaum in Glindow nur für Kinder mit schwerstkranken Geschwistern gedacht, damit sich einmal alles um sie dreht und nicht um den Bruder oder die Schwester. „Im vergangenen Jahr haben wir aber beobachtet, dass die Mütter ihre Kinder nicht mehr nur jeden Tag auf die Wiese fahren, sondern selbst zumindest für eine Cappuccino-Runde hier bleiben, teilweise sogar den ganzen Tag“, sagt Bianca Sommerfeld vom Zuckerbaum e.V. den PNN.
Seit drei Jahren bietet der Verein, der Familien mit schwerst- oder unheilbar kranken Kindern unterstützt, auf der Wiese am Obstpanoramaweg in den Sommerferien eine Woche lang kostenlose Ferien an, holt Kinder zwischen Potsdam und Brandenburg/Havel morgens ab und fährt sie abends nach Hause. Am Samstag begann die Aktion, die noch bis Freitag dauert. „Da wir im Vorjahr gesehen haben, dass auch viele Mütter diese Auszeit genießen, haben wir nun zum ersten Mal eine Mutter-Ecke eingerichtet“, so Sommerfeld.
Dort können sie massiert werden, sich austauschen oder einfach nur im Gras liegen, während die 18 teilnehmenden Kinder von fast ebenso vielen Freiwilligen betreut werden. Für das Gemeinschaftserlebnis wird schon mal zusammen eine Jurte aufgebaut, oder man bemalt im Kreis sitzend Porzellantassen – für die Cappuccino-Runde. „Für die Mütter ist es hier super, sich einfach mal austauschen zu können und in Gesprächen mehr als nur Mitleid zu bekommen“, so Sommerfeld.
Für Susann Hermerschmidt, die mit ihren drei Töchtern in der Schorfheide wohnt, hat der Zuckerbaum e.V. eigens eine Ferienwohnung in Glindow gemietet. Die sechs Monate alte Stella kam mit frühkindlichen Hirnschäden zur Welt, die genauen Auswirkungen könnten die Ärzte noch nicht benennen. „Der Zeitaufwand für die Pflege ist natürlich größer, allein das Füttern dauert mit der Essenssonde eine Stunde“, sagt Hermerschmidt. Die Zeit fehle natürlich für die Betreuung der Töchter Emma (7) und Anna (10).
Als Mutter genießt sie jetzt die Ruhe, sonst komme nur einmal im Monat für zehn Stunden ein Pflegedienst, damit wenigstens ein Kino-Abend in der Stadt möglich ist. Der Mann ist verstorben, sie muss sich allein um die drei Mädchen kümmern.
Nach Angaben der Björn-Schulz-Stiftung, die gemeinsam mit Zuckerbaum und der Kreismusikschule aus Kleinmachnow das Sommerlager ermöglicht, müssen sich die meisten Mütter allein um ihre kranken Kinder kümmern. Etwa 80 Prozent der Väter würden die Familien verlassen. „Bei Kindern mit Behinderungen haben die Männer oft das Gefühl, versagt zu haben, und gründen mit anderen Frauen noch einmal eine Familie“, sagt Bianca Sommerfeld. Für die Frauen eine besonders schlimme Situation, ist verlassen werden doch schon ohne ein krankes Kind schwer zu ertragen.
Auch die gesunden Geschwister, oft als „Schattenkinder“ bezeichnet, leiden unter dem Verlust, auf der sommerlichen Wiese scheinen sie die Sorgen aber zu vergessen. Anna Hermerschmidt ist sogar stolz, dass sie als ältestes Kind Mutter Susann unterstützen kann. Die kleine Stella trinke bei ihr schon gut, derzeit lernt Anna, der kleinen Stella die Essenssonde zu legen. Schwester Emma streichelt derweil die Schafe, die Sigrid Heilmann in der Vorwoche auf die Wiese gebracht hat. „Mutterschaf Liese ist genau der richtige Therapiepartner, statt wie die meisten Schafe zu flüchten kommt sie neugierig an und begrüßt Besucher“, so Heilmann. Bleiben die Kinder still stehen, werden sie von der nassen Schafsnase am Bein beschnuppert und dürfen durch die Wolle streicheln. Für einige Kinder sei es leichter, mit dem Tier in Kontakt zu treten als mit Menschen, wenn sie doch mal Trost brauchen.
Auf Zuckerbaum aufmerksam geworden ist Sigrid Heilmann durch eine Freundin, die auf der Wiese Musiktherapie anbietet. Die Instrumente dafür verleiht die Kreismusikschule. Sie stehen den Kindern neben Aktivitäten wie dem Bau von Insektenhäusern oder Trampolinspringen zur Verfügung. Wer Ruhe braucht, kann natürlich auch einfach auf dem Rasen oder in der Hängematte liegen. Gefördert wird das Projekt im Rahmen der Bundesinitiative „Kultur macht stark“. Diese unterstützt die Glindower Wiesen-Woche mit 14 000 Euro. Daneben helfen die Spenden, die der Zuckerbaum e.V. bekommt.
Auch die Glindower unterstützen das Projekt: Der benachbarte Bauer Thomas Giese gibt Bianca Sommerfeld zufolge gern mal ein Kilo Kirschen gratis zum Obsteinkauf. Die Fleischerei Joppe, die täglich das Mittagessen anliefert, mache mehr Portionen als bezahlt. „Die Obstland-Apotheke im Ort gestaltet sogar extra einen Kalender, dessen Blätter nach den abgebildeten Blumen riechen, und spendet uns die kompletten Einnahmen“, so Sommerfeld.
Nicht nur in der einen Sommerwoche hilft der Verein auf der Obstwiese. So wurde im April zur Baumblüte ein Fest für Flüchtlingsfamilien gefeiert (PNN berichteten). Außerdem können die Eltern, die sich kaum eine Feier zu Kindergeburtstagen leisten können – schließlich fehlt meist mindesens ein Einkommen – mit ihren Kindern dort kostenlos feiern.
Spendenkonto: Zuckerbaum e.V., IBAN: DE22 1002 0890 0023 8708 78, BIC: HYVEDEMM488
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