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KulTOUR: Ziemlich skurreal

Künstlergruppe „Melpomene“ stellt im Kunst-Geschoss in Werder aus

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Werder (Havel) - Egal ob geschrieben, gemeißelt, getanzt, wer in der Antike Kunst machen wollte, rief zu erst einmal die Musen heran. Mit ihrer Hilfe wurde alles perfekt. Leider ist dieser schöne Brauch heute ganz aus der Mode gekommen, deshalb gibt es ja auch so viel Müll zu sehen. Die neue Ausstellung in der Werderschen Stadtgalerie gehört nicht dazu, sie hat mit der griechischen Muse Melpomene einen mächtigen Schutz.

Ihr Name steht, ungefähr, für die tragische Dichtungsart, freilich mit einem melancholischen Lächeln im Mundwinkel erzählt. Dies ist auch das Credo jener fünf Maler, die sich vor zwanzig Jahren nicht nur namentlich in die Obhut dieser Muse begaben. Ihre Gründung im Osnabrücker Raum hing teils mit dem „Werkkreis Arbeitswelt“ zusammen, teils wollte man sich von der staatlichen Kunstförderung unabhängig machen, denn wer sich als Rebell versteht, hat bei den Ämtern so gute Karten nicht.

„Melpomene“ organisiert seine Ausstellungen selbst, hat einen eigenen Förderkreis, vertreibt sogar eine Kunstzeitung im Stil der Zwanzigerjahre. Man kommt miteinander aus, keiner muss dem anderen noch etwas beweisen, jedem bleibt genügend Luft, sein eigener Künstler zu sein, des anderen Freund – und trotzdem ein freier Mann. Ihr gemeinsames Passwort heißt „Skurrealismus“, damit lässt sich das Narrenschiff Erde vielleicht am besten beschreiben.

Und was ist an allen Ecken und Enden skurril und immer real? Der Mensch – die große und sehnsuchtsvolle Liebe der Muse, der einzige Gegenstand dieser großen Jubiläumsausstellung. Dass gerade sie jetzt im Kunst-Geschoss haust, kann ein Zufall nicht sein. „Behutsamkeit der Wahrnehmung“ steht als Motto darüber, jede Menge Realität ist drin, aber nirgendwo billig und platt, man legt größten Wert auf eine gehobene Anwendung des Malstils, auf Distanz, die manchmal sehr schwarzgrimmig ist.

Die „melpomenischen Fünf“ sind trotzdem nicht zu fassen, weil sich ihre Art hinter jedem Bild aufs Neue versteckt. So soll es ja auch sein, nicht die Beschreibung ist wichtig, sondern die Einladung, die Empfehlung, hinzufahren auf die Insel. Dort ist Axel Gundrums „Miss Brandenburg“ so blass als Wasserleiche zu sehen, das „Mädchen mit Tugendwächter“ ist nackt und sehr schön, wie süß sie zwischen ihren Tigern lächelt!

Hinrich van Hülsen beschäftigt skurreal Metamorphes, Wesen zwischen Mensch und Tier, Vögel, Schildkröten, oder ein Walfisch, dem man den Stöpsel aus der Wanne gezogen, puuh! Thomas Johannsmeier montiert gern, wie in „Aida“ oder „Friede, Mann!“ zu sehen. Robert Meyer doppelt sich, wo er nur kann, zum Beispiel „Auf der Bank mit Katze“, beim staunenden Beschauen einer kleinen Mona Lisa, einem Monalieschen, sozusagen. Oder im Selbstporträt mit Hund.

Thomas Bühler verwendet ein Digitaldruck-Verfahren für sein Triptychon vom punkigen Bettler auf einer Berliner S-Bahn-Station. Ganz stark die comicartigen Bilder, einen zeigend, der sich selbst als Erwachsener nicht von seiner Kindheit zu trennen versteht. Ölbilder, Kohlezeichnungen, große und kleine Formate – diese Ausstellung erzählt in ihrer Gegenständlichkeit viel über die Kunst, und sie erzählt auch Geschichten durch Kunst. Draußen im Flur zeigt Heike Cybulski neue Arbeit in Stahl, Kleinskulpturen als Mann oder Frau.

Letztlich, so Axel Gundrum, stehe ja doch alles im „Gemenge zwischen Künstlerschaft und Flohzirkus“. Da passt nun wirklich alles Skurreale hinein. Braucht es jetzt noch eines Beweises, dass ohne die Muse nix läuft? Gerold Paul

bis 12. Januar Do., Sa. und So. 13 bis 18 Uhr geöffnet, zusätzlich am 25. 12, nicht am Neujahrstag, Schützenhaus, Uferstraße 10

Gerold Paul

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