Von Henry Klix: „Ziviler Ungehorsam“ in Plessow
Den Bau des Tetra-Sendemastes am Ortsrand wollen Bürger zur Not mit Sitzblockaden verhindern
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Werder (Havel) - Viel Zeit bleibt den Plessowern nicht: Bis Ende September soll ein 55 Meter hoher Sendeturm für den neuen Bos-Digitalfunk von Polizei und Rettungswesen am Ortsrand aufgestellt sein. Die Gründungspfähle sind fertig, die Bürger erfuhren erst vorige Woche, wofür. Jetzt soll – nach Stuttgarter Vorbild – „ziviler Ungehorsam“ den Turmbau verhindern: Teilnehmer einer Bürgerversammlung kündigten Dienstagabend Sitzblockaden an, wenn die „Betonmischer“ anrücken. Ein Grüppchen aufgebrachter Männer war kurz davor, zur Baustelle zu ziehen und die fünf Meter tiefe Baugrube zuzuschaufeln. „Die Plessower sind Sturköpfe, sie haben kein Obrigkeitsdenken“, warnte Versammlungsleiter Dirk Lutze. Am Ende des zweistündigen, turbulenten Abends im Anglerheim wurde man sich unter rund 70 Teilnehmern aber einig, sich bei den Aktionen nicht strafbar zu machen.
Vertreter des Werderaner Rathauses und des Innenministeriums waren angereist, um mit einigen Monaten Verspätung über den Turm zu informieren, der für das neue Tetra-Netz von Polizei und Rettungsdiensten benötigt wird. Ihre Darlegungen wurden von wütenden Zwischenrufen unterbrochen. „Ihr denkt doch, wir sind die Dummen vom Dorf.“ „Unsere Häuser sind danach nichts mehr wert.“ „Was passiert, wenn die Leute von den Strahlen krank werden?“ Nicht auf alle Fragen gab es Antworten.
Die Plessower haben vor allem Angst um ihre Gesundheit und berufen sich auf Erfahrungen mit dem Tetra-Netz in England, wo Polizisten und Bewohner an Sendemasten erkrankt sein sollen. Im Internet kursieren medizinische Aufsätze und Presseberichte über Kopfschmerzen, Nasenbluten, Schlafstörungen oder Halluzinationen. Das Tetra-Netz sendet in Frequenzen unter dem Mobilfunk, die Taktung von rund 400 Megahertz entspricht der Gehirnfrequenz. Das Ergebnis einer britischen Feldstudie mit Polizisten soll 2019 vorliegen. In zwei Jahren wird auch von der deutschen Gewerkschaft der Polizei der Zwischenbericht mit belastbaren Fakten erwartet. In Deutschland forscht die Berliner Charité mit dem Bundesamt für Strahlenschutz zu Tetra.
„Auch mich haben die Meldungen aus England beunruhigt“, räumte Jörg Vogler ein, der im Innenministerium für die Einführung des Digitalfunks in Brandenburg verantwortlich ist. „Wir wissen aber auch, das ,Tetra 25’ schon europaweit im Einsatz ist, in Skandinavien, den Niederlanden, Polen, der Schweiz oder Österreich.“ Gesundheitssymptome würden nur aus Großbritannien gemeldet. Sollte es neue medizinische Erkenntnisse geben, würden sie beim Netzbetrieb einbezogen, wie Vogler versicherte. Der Grenzwert von 27 Volt pro Meter für das Tetra-Netz sei derweil nicht aus der Luft gegriffen. „WHO und internationale Gremien haben daran mitgewirkt.“ In Plessow werde der Wert schon am Turmsockel um das Hundertfache unterschritten. Vogler reichte dazu Karten herum. Den Plessowern bot er an, die Werte prüfen zu lassen, wenn der Mast am Rand des Zollschul-Geländes steht. Ein neuer Standort sei nicht zu machen: Plessow sei – wie die Polizeiliegenschaften in Teltow oder Brandenburg (Havel) – einer der „Ankerstandorte“, um die alle anderen Sendetürme gruppiert wurden. „Daran können wir nichts ändern.“ „Sie nicht, aber wir“ entfuhr es einer Bürgerin.
Die Plessower wollen jetzt in Werders Stadtparlament vorsprechen. Werders 1. Beigeordnete Manuela Saß räumte Fehler in der Informationspolitik ein, schon seit dem Frühjahr 2009 war das Projekt im Rathaus bekannt. Allerdings habe die Stadt keine Möglichkeiten gehabt, ihr Einvernehmen für den Funkmast im Außenbereich zu verweigern. „Sonst wären wir in die Haftung gekommen.“ „Zumindest hättet ihr uns vorher fragen können“, konterte Versammlungsleiter Lutze. „Wir sehen uns doch in den Vereinen, der Bürgermeister hat vor der Wahl ein Schwein gesponsort und wir haben über das neue Feuerwehrhaus diskutiert. Aber darüber wird nicht geredet.“ Jetzt sollen die Stadtverordneten in die Verantwortung genommen werden. Lutze: „Wir dürfen nicht locker lassen. Wir halten in Plessow zusammen.“
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