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Potsdam-Mittelmark: Zwei Einzelkämpfer

Rolf Hercher und Edmund Müller kämpfen mit sehr eigenen Themen und ohne Partei im Rücken um die Stimmen der Wähler

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Werder (Havel) / Schwielowsee - Sein Hund sei tod, die Segelfliegerei habe er aufgegeben. „Und ich wollte nicht frustriert vor dem Fernseher sitzen“, sagt Rolf Hercher. Da hat er mal eben für den Bundestag kandidiert, seine „Altersgang“ in Ferch habe ihn für verrückt erklärt. Der muntere 76-Jährige ist seit Wochen im Wahlkreis mit seinem Fahrrad und Wahlkampfanhänger on Tour. Er strahlt Passanten an und hat so viel Spaß am Straßenwahlkampf, dass es sich bisweilen auf seine Gegenüber überträgt.

Warum man ihn wählen soll?, wird er gefragt. „Mit der Erststimme wählen sie Gesichter, ich habe ein fantastisches Gesicht“, flachst der Grauhaarige. Und noch eins: Mit 76 wäre er Alterspräsident, würde die konstituierende Sitzung des Bundestags leiten. „Dann würde ich denen in Ruhe die Meinung geigen, und keiner könnte mich zur Ordnung rufen.“

Er spricht ganz offen die „Protestwähler“ an, in den „Hochhäusern“ habe er die besten Gesprächspartner gefunden, teilweise eine bleierne Traurigkeit erlebt. Er setzt seinen heiteren Aktionismus dagegen und wäre froh, wenn er damit zwei Prozent der Erststimmen erringt. „Setzen wir ein Zeichen gegen Armut und Ungerechtigkeit“, steht auf Herchers Flyer. Seine Diäten, 6000 Euro jeden Monat, werde er den Tafeln spenden, wie er verspricht. „Sie haben meinen vollen Respekt“, sagt ein junger Mann in Potsdam – ein Politik-Doktorand, der am Vortag den Vergleich mit Merkel und Gabriel hatte.

Privat ist von Hercher nicht mehr zu erfahren, als dass er „Vater und Großvater“ ist und mal mit Drogenabhängigen in Westberlin gearbeitet hat. Der agile Rentner war viele Jahre Mitglied der Alternativen Liste, saß auch mal in Zehlendorfs Bezirksverordnetenversammlung. Nach der Billigung des Kosovokrieges habe er sich von den Grünen losgesagt, sei „politisch abstinent“ geworden. Jetzt wolle er nicht mehr zusehen, wie „hochbezahlte Parteipolitiker die wachsende Armut mit Untätigkeit“ beantworten. Mit einem Wahlkampfbudget von 1200 Euro will er es wissen.

Mit deutlich ernsterer Miene hängt Edmund Müller seine Plakate im Wahlkreis. Im Gespräch mit dem Siemens-Ingenieur wird man mit der Leidensgeschichte des ledigen Vaters eines neunjährigen Sohnes vertraut, um dessen Sorgerecht er kämpft. Müller ist von Berlin nach Werder gezogen, um seinem Sohn näher zu sein.

Er ärgere sich über eine deutsche Justiz, die das Kindeswohl mit dem Willen der Mutter gleichsetze, sagt der 44-Jährige, genauso über die „feministische Genderideologie“, über Frauenquoten und Girlsdays. Müller kennt einschlägige Familienrechtsurteile mit Aktenzeichen, legt schon mal Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einen OLG-Richter ein oder versucht, sein Recht beim Bundesgerichtshof einzuklagen. Er glaubt, dass sich viele Väter ähnlich von der Justiz gegängelt fühlen wie er.

Hoffnung hat er geschöpft, als der Europäische Gerichtshof im Zaunegger-Urteil verfügte, dass auch ledige Väter Anspruch auf das gemeinsame Sorgerecht ihrer Kinder haben. Bei einer Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestags zu diesem Thema sei ihm klargeworden, dass er nur an dieser Stelle etwas bewirken kann.

Eine kurze Episode bei den Piraten habe ihn zur Erkenntnis geführt, dass er selbst seine Partei gründen muss. „Das habe ich dann nicht mehr geschafft.“ Also ist er als Einzelkandidat angetreten, hat die 200 Unterstützerunterschriften gesammelt, „40 Prozent bei Frauen“, wie er betont. Eine habe dazugeschrieben, dass Frauen Machos liebten.

Müller setzt auf „direkte Demokratie“. Den Bürgern seines Wahlkreis verspricht er abzustimmen, wie sie es mehrheitlich verlangen. Mit Ausnahme seiner zwei großen Themen: Justizreform und Feminismusfreiheit. Henry Klix

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