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Potsdam-Mittelmark: Zwei Körbe Kirschen für die Familie
Töplitz war einst die Insel der Kirschen. Heute wird um die letzten Bäume und eine Tradition gekämpft
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Werder (Havel) - Es war verlockend: Die Bäume hangen voller knackiger, roter Kirschen, und wer an ihnen vorbeikam konnte nicht anders, als einfach zuzugreifen. Die kleine Insel Töplitz war zu DDR-Zeiten das größte Kirschanbaugebiet im Havelland. Auf rund 600 Hektar standen dicht gepflanzt die Obstbäume, über den Anlagen kreisten die Stare. Und um die Anlagen herum kreisten die Touristen. Lang ist es her.
Vom einstigen Glanz der Kirschen ist nicht mehr viel geblieben: Die Insel ist zwar noch grün, rote Farbtupfer in den Bäumen sucht man vergebens. Mais, Raps und Roggen prägen heute das Bild Töplitz’. Seit vergangenem Jahr setzt sich nun der Landschaftspflegeverein Potsdamer Kulturlandschaft dafür ein, die noch wenigen alten Bäume zu erhalten – und damit auch die Erinnerung an die Obstbautradition.
Die letzten 85 Kirschbäume einer alten Anlage in Neutöplitz werden umhegt und gepflegt. Sie zählen zu den letzten zehn Prozent des alten Obstbaumbestands, der nach dem Mauerfall noch stehen geblieben ist. „Nach der Wende haben wir 40 Jahre Entwicklung ungenutzt auf der Straße liegen gelassen“, sagt Manfred Kleinert vom Obstgut Marquardt. Die Mauer fiel und mit ihr auch die Arbeit in den Produktionsgenossenschaften. Dabei war früher alles anders.
„Wir mussten den Urlaubern von den Kirschen was geben, sonst wären sie stinkig geworden“, sagt Kleinert. Er war einst Chef der LPG Marquardt, die die Töplitzer Anlagen bewirtschaftete. Um die bis zu 4000 Urlauber, die in den Sommermonaten auf die Insel kamen, sanft zu stimmen, wurde die Selbstpflücke eingeführt. Damals noch als eine Art Zuverdienst: Wer zehn Körbe mit Sauer- und Süßkirschen vom Baum holte, konnte zwei mit nach Hause nehmen.
Die Anlagen in Töplitz sowie der gesamte Obstanbau in der Region Werder waren der Obstgarten der DDR. Pro Jahr erntete die Marquardter LPG pro Jahr allein 35 000 Tonnen Obst und Gemüse. Ein Viertel davon kam aus Töplitz. Besonders begehrt waren die Töplitzer Kirschen bei den Berlinern. Die Insellage sei ideal gewesen für den Anbau des Steinobstes: „Leichter Sandboden, ringsherum Wasser und geringe Frostgefahr“, so Obstbauer Kleinert. Auf der Insel sorgte sehr früh, und zwar bereits 1973, eine automatisierte Beregnungsanlage für genügend Feuchte auf den trockenen Böden. Schöpfwerke pumpten unaufhaltsam das notwendige Wasser aus der Havel und dem Sacrow-Paretzer Kanal. Noch heute spricht Kleinert mit Stolz über das ausgetüftelte Regnomatsystem.
„Die Kirschen fehlen uns ein bisschen“, sagt der Töplitzer Ortsvorsteher Frank Ringel. Er freut sich über jeden neuen Obstbaum, der auf der Insel gepflanzt wird. Doch die Prachtzeiten der Kirschen würde man nicht mehr zurückbekommen. Wenigstens sei ein Teil der Landwirtschaft geblieben: „Hier werden Käse, Milch, Honig und Wein produziert“, zählt Ringel auf. Hühnereier und Fleisch vom Rind gebe es auch.
Um den Altbestand vor der Rodung zu bewahren, wandelte der Landschaftsverein die einstige Kirsch-Anlage in eine Streuobstwiese um. „Uns war es wichtig, die Bäume zu schützen“, sagt Vereinschef Dieter Dörflinger. Im vergangenen Jahr wurden deshalb die 85 Kirschbäume mit 250 neuen Obstbäumen ergänzt.
Auch Landschaftspfleger Jan Bornholdt ist zufrieden. „Damit ist es ein geschütztes Biotop.“ Selbst wenn die alten Bäume sterben, können sie Siebenschläfern und Fledermäusen einen guten Unterschlupf bieten. Gefördert wurde die Streuobstwiese von der Europäischen Union. In einem Monitoring-Programm wird nun untersucht, wie sich Flora und Fauna in den nächsten fünf Jahren entwickeln. Der Umbau einer Altplantage in eine Streuobstwiese sei bisher einzigartig in der Region, sagt Bornholdt. Mit dem Pilotprojekt wolle man vor allem dem Kahlschlag Einhalt gebieten: „Leider bekommen Landwirte heute mehr Geld, wenn sie ihre Flächen roden, als sie zu bewirtschaften.“
Auf der 4,5 Hektar großen Streuobstwiese wächst heute sogar wieder die in Werder legendäre Kirschsorte „Kassins Frühe“, benannt nach der gleichnamigen Werderaner Obstbauernfamilie. Schon im 19. Jahrhundert sind im Sommer ganze Familien die Leitern an den Bäumen emporgeklettert, um die roten Früchte in ihren Kiepen zu sammeln. Wer heute mit dem Rad an der Streuobstwiese vorbeifährt, darf einfach so zugreifen.
Am heutigen Freitag findet auf der Streuobstwiese in Neutöplitz auf dem Heidberg ein Kirschpicknick um 14 Uhr statt. Der Verein informiert über sein Projekt.
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