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Glückliches Hähnchen? In Schmergow haben 1 500 Menschen gegen den Bau einer Hähnchenmastanlage unterschrieben. Dort sollen 165 000 Tiere gleichzeitig gehalten werden.

© dpa

Protest gegen Massentierhaltung in Seddiner See: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Tierschützer und Bauern streiten in Seddin um die Frage, was eine artgerechte Tierhaltung auszeichnet. Der brandenburgische Agrarausschuss lehnte die Forderungen der Massentierhaltungsgegner größtenteils ab, aufgeben wollen die Aktivisten aber noch lange nicht.

Von Enrico Bellin

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Seddiner See - Holger Ackermann will nicht aufgeben. Der Initiator der Volksinitiative gegen Massentierhaltung, die am Mittwochabend vom brandenburgischen Agrarausschuss größtenteils abgelehnt wurde, will weiter für eine Beteiligung der Bürger an Neubauprojekten für Ställe kämpfen. Das sagte Ackermann am Donnerstagabend bei einer Diskussion unter dem Titel „Tierwohl zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ in der Seddiner Heimvolkshochschule.

„Wir werden weiter dafür kämpfen, dass künftig auch Tierschutzverbände Klage gegen Massentierhaltungen einreichen können“, so Ackermann auf der von der SPD-Europaabgeordneten Susanne Melior initiierten Diskussion, zu der mehr als hundert Zuhörer erschienen waren. Auch wenn der Agrarausschuss die Initiative insgesamt abgelehnt habe, hat sie Melior zufolge doch einiges erreicht. So dürfen künftig nur noch Bauern Tiere halten, die über ausreichend Boden verfügen. Auch EU-Richtlinien, die das Beschneiden von Schnäbeln und Schwänzen verbieten, sollen umgesetzt werden.

Gute Erfahrungen in Holland

Ein Klagerecht der Verbände hat der Agrarausschuss jedoch abgelehnt (PNN berichteten). „Wir in Holland haben damit aber gute Erfahrungen gemacht, bei uns werden auch die Tierschützer in Stallbauprojekte einbezogen“, berichtete Ton von Arnhem, Botschaftsrat des Niederländischen Königreiches. Er betonte, dass in der zweitgrößten Agrarnation Europas auch zwei Abgeordnete der „Partei der Tiere“ im Parlament sitzen und selbst die rechtspopulistische Partei von Geert Wilders sich für den Tierschutz engagiere.

Gegen ein Klagerecht für Tierschutzverbände sprach sich hingegen Bundestagsmitglied Johannes Röring (CDU) aus, der in Nordrhein-Westfalen (NRW) selbst als Landwirt tätig ist und eine Schweinemastanlage gegründet hat. In NRW wurde im Vorjahr sieben Verbänden das Klagerecht eingeräumt, wenn ihrer Ansicht nach gegen Tierschutzvorschriften verstoßen wird. „Jetzt wollen auch Verbände gegen Ställe klagen, die überhaupt nicht in der Nachbarschaft liegen.“ Das verhindere teilweise den Neubau von Mastanlagen und konterkariere so den Tierschutz, da neue Ställe den Tieren meist bessere Bedingungen bieten würden als alte. Probleme mit Bürgerprotesten gegen Tierhaltung habe es in Rörings Nachbarschaft bisher nicht gegeben, was jedoch auch daran liege, dass im Münsterland schon immer Tierhaltung betrieben wird und die Menschen daran gewöhnt seien.

Immer mehr Mega-Anlagen in Brandenburg

Im Land Brandenburg ist die Zahl der Mega-Anlagen mit mehreren Hunderttausend Tieren in den vergangenen Jahren enorm angestiegen, meist gingen die Neubauten mit entsprechenden Bürgerprotesten einher. Auch in Schmergow in der Gemeinde Groß Kreutz (Havel) sollen künftig 165 000 Hähnchen zur Mast gehalten werden, die Terhorst agrar GmbH hat im Vorjahr den Bau von drei Mastställen mit Ausmaßen von jeweils 24 mal 100 Metern neben einer Biogasanlage beantragt (PNN berichteten).

Am Mittwoch haben engagierte Schmergower eine Liste mit 1500 Unterschriften gegen den Stallbau an Landwirtschaftsminister Jörg Vogelsänger (SPD) übergeben, die seit Oktober gesammelt wurden. „Wir bekommen schon den Gestank von einer Biogasanlage und von den Schweineställen ab, nun soll noch die Hähnchenmast in das Landschaftsschutzgebiet gebaut werden“, sagte der Schmergower Herbert Martin Vater den PNN, der die Unterschriftensammlung mit initiierte. Den bisher bekannten Plänen zufolge wolle der Investor seine Hähnchenställe nicht einmal mit Filteranlagen ausstatten, sodass der Geruch bis in den Ortskern und über die Havel auch in die Nachbargemeinde ziehen würde.

Massentierhaltung gefährde biologische Vielfalt

Auch der Förderverein Mittlere Havel ist gegen die geplante Hähnchenmast, wie Vorstandsmitglied Axel Mueller am Rande der Diskussion in Seddin sagte. „Da der Stall direkt an der Havel liegt und dort Zugvögel ihre Wanderrouten haben, ist auch die Gefahr groß, dass der Vogelgrippevirus eingeschleppt wird.“ Zudem sei durch die Massentierhaltung die biologische Vielfalt gefährdet. Letztendlich habe der Verbraucher es in der Hand, Fleisch aus vernünftiger Haltung zu kaufen.

Das gibt es inzwischen flächendeckend im Handel, wie Frank Thiedig, Qualitätsmanager bei Edeka, in der Diskussion klarstellte. „Wir haben 2013 unsere Produktion umgestellt und ein Qualitätssiegel gemeinsam mit dem Deutschen Tierschutzbund erarbeitet, dadurch wurde das Fleisch um etwa 30 Prozent teurer“, so Thiedig. Leider hätten die Verbraucher die Anstrengung nicht wie gewünscht honoriert, der Absatz sank um etwa 30 Prozent. Die Kunden im Supermarkt griffen seither eher zum Discounterfleisch der Eigenmarke „Gut & Günstig“.

Es gebe aber auch erfolgreiche Initiativen zum Tierschutz wie die „Initiative Tierwohl“, an der fast alle deutschen Einzelhändler sowie die Fleischwirtschaft beteiligt sind. Seit Jahresbeginn zahlen Kunden vier Cent mehr für ein Kilogramm Schweine- oder Hühnerfleisch. Damit sollen bei Erzeugern und Schlachthöfen höhere Tierschutzstandards als gesetzlich vorgeschrieben finanziert werden.

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