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Wer Durst hat, drückt bitte auf „Drinks“. Das Lenkrad des neuen McLaren wies bei der Präsentation in Berlin knapp 20 Knöpfe auf. Foto: Reuters

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Sport: Äh, wo muss ich drücken?

Knöpfe, überall Knöpfe: Weil sie jetzt auch noch den Heckflügel verstellen müssen, können sich Formel-1-Piloten immer schwerer aufs Fahren konzentrieren

Von Christian Hönicke

Berlin - Das Lenkrad kam aus der U-Bahn, der rechte Vorderreifen aus dem Tiergarten. Als letztes der Formel-1-Spitzenteams hat McLaren-Mercedes am Freitag sein neues Auto präsentiert und ließ es vor etwa 300 Augenzeugen im Berliner Sony- Center zusammenschrauben. Vollständig zusammengebaut präsentierte sich ein vergleichsweise ungewöhnlicher Rennwagen mit breiten, eingeschnittenen Seitenkästen und einer eigenwilligen Frontflügelpartie. Der neue MP4-26 gibt sich deutlich revolutionärer als etwa der nur sanft veränderte Red Bull, den Weltmeister Sebastian Vettel schon in Valencia um die Teststrecke jagte. „Seid gewarnt: Ihr habt noch nicht alles gesehen!“, rief McLarens Teamchef Martin Whitmarsh in Richtung Konkurrenz. „Es gibt ein paar interessante Teile, die wir noch verstecken.“

Nicht verstecken musste McLaren 37 Tage vor dem Saisonstart die neuen Pirelli-Reifen, denn die haben nach dem Wechsel von Bridgestone ohnehin alle Rennställe. Ebenfalls zumindest unter den Spitzenteams obligatorisch ist das nach einer einjährigen Pause zurückgekehrte Kers-System. Per Knopfdruck wird künftig wieder einmal pro Runde für knapp sieben Sekunden gespeicherte Bremsenergie in 82 Extra-PS umgewandelt. Und dann hat der neue McLaren wie alle anderen Wagen auch noch einen anderen neuen Knopf am Lenkrad, der derzeit die Formel 1 bewegt. Er lässt während der Fahrt den Heckflügel auf- und absurren.

Auf diese Idee hatten sich die Teams und der Automobil-Weltverband Fia verständigt, um das Überholen zu erleichtern. „Das ist wichtig für die Show und die Zuschauer“, sagt Whitmarsh. In der Tat sind die wenigen Rad-an-Rad-Kämpfe seit Jahren eines der größten Ärgernisse der Formel 1. Die Gefährte sind inzwischen aerodynamisch so fragil und technisch so überzüchtet, dass sie beim Hinterherfahren hinter dem Vordermann durch verwirbelte Luft zu viel Anpressdruck verlieren, also langsamer werden. Diese Folge des Wettrüstens soll nun durch noch mehr Technik bekämpft werden.

Wer seinem Vordermann dichter als eine Sekunde auf den Pelz rückt, bekommt künftig Flügel verliehen. Er darf dann nach der Freigabe durch die Fia-Rennleitung an einer bestimmten Stelle des Kurses, meist die längste Gerade, den Heckflügel per Knopfdruck so flach stellen, dass er etwa 15 km/h schneller ist. „Wir hören einen Piep oder sehen eine Lampe auf dem Lenkrad, und dann können wir draufdrücken“, sagt McLaren-Pilot Jenson Button. Während sich sein Teamkollege Lewis Hamilton freut („Das wird definitiv beim Überholen helfen“), hat Button zumindest Bedenken philosophischer Natur: „Bisher war es ein echter Rausch, wenn man es mal geschafft hat, jemanden zu überholen. Ich weiß nicht, ob das künftig auch noch so ein tolles Gefühl ist.“ Schon befürchten einige, dass man sich nun am besten in der letzten Runde eher hinter dem Gegner aufhalten sollte, um nicht als wehrloses Freiwild zu enden. McLarens Teamchef Whitmarsh, gleichzeitig Präsident der Teamvereinigung Fota, beschwichtigt: „Wenn das Überholen zu leicht wird, können wir die Regel ja anpassen.“ Bisher ist der Heckflügel-Einsatz ab der dritten Rennrunde jeweils für die letzten 600 Meter einer Geraden angedacht, die kommenden Testfahrten will Fia-Rennleiter Charlie Whiting zum Feintuning der Vorgaben nutzen.

Andere machen sich nicht nur um ihren Emotionshaushalt Sorgen, sondern fürchten sogar um ihre Sicherheit. Zwar ist neben einem Mehrfachdiffusor am Unterboden nun auch der Beschleunigungskanal „F-Schacht“ verboten, der die Fahrer teilweise dazu zwang, einhändig zu fahren. Doch der verstellbare Heckflügel erfordert ähnlich viel Aufmerksamkeit. Er kann in den Trainings und in der Qualifikation nämlich jederzeit genutzt werden – also muss der Fahrer ihn nach jeder Kurve justieren. „Wenn man die Veränderungen an Bremsbalance und Elektronik hinzuzählt, kommt man durch die neuen Systeme auf bis zu 20 Veränderungen im Cockpit pro Runde“, sagt Toro-Rosso-Pilot Sebastien Buemi. Nebenher darf er noch das Funkgerät und die Gangschaltung bedienen und das Lenken nicht vergessen.

Selbst Sebastian Vettel, als Titelverteidiger nominell der weltbeste Autofahrer, fühlt sich aufgrund des ständigen Gefummels bei über 300 km/h mehr und mehr zum Fahrroboter degradiert. „Da kommt sehr viel auf uns zu“, sagt der Heppenheimer. „Das Wichtigste ist, genauso wie im Straßenverkehr, dass die Augen wirklich auf der Straße sind und nicht irgendwo anders. Unsere Arbeit sollte es ja eigentlich sein zu fahren.“ Force-India-Fahrer Adrian Sutil befürchtet: „Es kann auf jeden Fall sein, dass man einmal ’ne Hundertstelsekunde nicht da ist, weil man gerade aufs Lenkrad schauen muss.“ Nico Rosberg erinnert außerdem an die Fehlbarkeit der Technik. Sollte sich der Flügel nicht wie angedacht kurz vor der Kurve automatisch in Normalstellung zurückbewegen, würde der Wagen einen deutlich längeren Bremsweg brauchen. „Dann“, sagt der Mercedes-Pilot, „sieht es sicher ganz übel aus.“

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