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Lise Klaveness hat 73 Länderspiele für Norwegen bestritten.

© Imago

An der Spitze von Norwegens Fußballverband: Lise Klaveness ist hier der Boss

Die 37-Jährige musste als Juristin, Spielerin und Kommentatorin einiges einstecken. Jetzt verantwortet die Norwegerin als erste Frau die Fußballnationalteams der Männer und Frauen.

Spricht man Lise Klaveness auf ihre Rolle als erste Frau an der Spitze eines großen Fußballverbandes an, erinnert ihre Antwort frappant an die Reaktion von Bibiana Steinhaus nach ihrem ersten Spiel als Bundesliga-Schiedsrichterin im September 2018. „Das Geschlecht hat keinerlei Rolle bei meiner Einstellung gespielt“, sagt Klaveness. Will sie also gar nichts hören von ihrer Bedeutung in einer Welt, die immer noch männlich dominiert ist?

Dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) ist gerade wieder vorgeworfen worden, aus einem Haufen alter Männer zu bestehen. In Norwegen war das kaum anders – bis jetzt. Nach ihrem Sommerurlaub wird es Lise Klaveness sein, die die Leitung des norwegischen Profifußballs übernimmt und für die Nationalmannschaften der Männer und der Frauen verantwortlich ist. „Natürlich unterstütze ich den Kampf für Gleichstellung“, sagt sie. Aber wenn ich mich in Dokumente einlese und mit meinen Kollegen zusammenarbeite, spielt mein Geschlecht keine Rolle.“

Klaveness ist ein strukturierter, zielstrebiger Mensch, der sich ungern durch Unwesentliches ablenken lässt – anders hätte die 37-Jährige wohl kaum eine Karriere als Profifußballerin, Juristin, Fußballkommentatorin und jetzt eben als erste Direktorin für Elitefußball beim Norwegischen Fußballverband NFF hingelegt – neben ihrer Rolle als Mutter eines vierjährigen Sohnes, den sie gemeinsam mit Lebensgefährtin Ingrid Fosse großzieht und der während des Telefoninterviews zwischendurch vom Töpfchen nach der Mutter ruft. „Alltagsleben“, sagt sie und lacht.

Spricht man länger mit Klaveness, die in einem kleinen Ort in Westnorwegen aufwuchs, fällt einem noch etwas auf: ihr skandinavisches Understatement. Das geht so weit, dass sie ihren eigenen Beitrag zu den Strukturveränderungen kaum erwähnt. „Eigentlich gebührt dem Verband die Ehre, mir den Job gegeben zu haben, nicht mir“, sagt sie. Für sie steht fest: Ihre Erfahrung mit wissenschaftlichen Methoden und institutionellem Wandel aus ihrer Zeit als Anwältin für die Norwegische Nationalbank sowie ihre Fußballkenntnisse aus ihren fünfzehn Jahren als Profi mit 72 Spielen für die Nationalmannschaft haben den Ausschlag gegeben. Vor sieben Jahren beendete sie ihre aktive Karriere.

Fokus liegt oft noch auf den Männern

Das einzige Zugeständnis, das man ihr entlocken kann: „Eigentlich braucht man eine Frau, um sowohl Männer- als auch Frauenfußball in Norwegen zu kennen.“ Denn obwohl die Frauen-Nationalmannschaft schon sechsmal an EM-Endrunden teilgenommen hat und wesentlich erfolgreicher ist als die der Männer, liegt der Fokus oft immer noch auf dem Männerfußball. Das zeigt sich bis in die Familien: Klaveness' eigener Vater glaubte nicht daran, dass sie gut genug sei für den Fußball. Das entfachte ihren Trotz und spornte sie an, jeden Tag mit dem Ball zu üben, es allen zu zeigen.

In ihrer Jugend lernte sie dann, dass sich das unermüdliche Ackern gegen den Unglauben ihrer Umgebung lohnen kann: Bei ihrem ersten Spiel für die Jugendnationalmannschaft schoss sie zwei Tore, viele weitere sollten folgen. Diese Lehre hat sich wie ein roter Faden durch ihr Leben gezogen. Heute, am Wendepunkt zwischen ihren Karrieren als Kommentatorin, Juristin und Chefin des norwegischen Profifußballs ist sie bei sich: „Das einzige, was wirklich zählt, ist meine Integrität.“

In Norwegen rief ihre Ernennung für den neugeschaffenen Posten ein bemerkenswert leises Echo hervor. Tatsächlich bekommt Klaveness mehr Interviewanfragen von deutschen als von norwegischen Medien. Ist Norwegen, wo neben einer Premierministerin auch Frauen auf den Finanz- und Verteidigungsposten regiert haben, Deutschland also schon um Lichtjahre voraus? „Wir haben dieselben Debatten wie in Deutschland, aber in den vergangenen Jahren haben sich ein paar Dinge geändert, die vielleicht dazu beitragen, dass wir anderen Ländern in dieser Hinsicht voraus sind“, meint Klaveness. Was sich in Norwegen auch geändert hat: Es herrscht Lohngleichheit zwischen den Nationalmannschaften der Männer und Frauen. In einer Solidaritätsaktion verzichteten die Männer auf einen Teil ihres Lohns und haben so eine gleiche Bezahlung hervorgerufen.

Trotz allen Fortschritts hat sich die rothaarige Juristin mit dem Nasenpiercing ähnlich wie ZDF-Fußballkommentatorin Claudia Neumann auch mit Hasskommentaren herumschlagen müssen. In Porträts über sie wird zudem immer wieder ihre Rolle als lesbische Mutter betont. „Geh zurück in die Küche“ und „Deine Stimme ist schrecklich“, seien noch die harmloseren Kommentare gewesen, sagt Klaveness. „Der Unterschied heute ist, dass solche Kommentare sofort auf Widerstand treffen.“ Als schlimmer aber empfand sie die „leise Diskriminierung“, der sie im Lauf ihrer Karriere begegnet ist: Die unausgesprochene Missbilligung, der fragende Blick von Funktionären und Reporterkollegen: „Man weiß dann nicht mehr, wo die tatsächliche Diskriminierung aufhört und wo meine eigene Angst davor beginnt.“

Ihre Strategie dagegen: Es bei professionellen Debatten belassen, Kritik annehmen, sich gut vorbereiten. In ihren neuen Job will sie als Zuhörerin gehen, in den ersten sechs Monaten den Verband erst einmal kennenlernen und erst danach Struktur- und Personalentscheidungen treffen. „Meine zukünftigen Kollegen machen ihre Arbeit teilweise seit Jahrzehnten“, sagt sie. „Meine Hoffnung ist, dort mit Leuten zu arbeiten, die besser sind als ich.“

Sie brennt für den Fußball

Dennoch ist sie die Chefin. „Fußball ist ein Traditionssport, deswegen hat alles, was der Verband tut, Signalwirkung für den Rest der Gesellschaft“, sagt sie und zum ersten Mal klingt etwas wie ein Sendungsbewusstsein aus ihr. Aus ihrer eigenen Unsicherheit und den Attacken von außen hat sie ebenso gelernt wie aus ihren Erfolgen auf dem Spielfeld und im Gerichtssaal. Bei ihrem Lebenslauf müsse sie ihre Kompetenz im Sport nicht mehr beweisen, meint Klaveness. Und weil sie so brennt für den Fußball und weil sie das Neuland mag, sagte sie „ja“ zum Posten.

Der ursprüngliche Plan war ein anderer: Eigentlich wollte sie ihre Juristenkarriere vorantreiben. „Ich hatte mich gar nicht um den Job beworben“, sagt sie. „Aber ich fühle mich bereit dafür, ihn anzutreten, auch, weil ich das Gefühl habe, der Verband will sich öffnen.“ Damit meint sie nicht nur die Geschlechterfrage, sondern auch den Wandel hin zu mehr Professionalität. Auch dafür hat Lise Klaveness einen Plan. Man müsse die Passion aus dem Fußball nehmen und mehr Rationalität hineinbringen, sagt sie. Denn mit hitzigem Kopf könne man zwar gut jubeln, aber schlecht Entscheidungen treffen.

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