Sport: Aus Patienten Sportler machen
Nebenwirkung Gesundheit: Wie der Klub „Kietz für Kids“ Senioren bewegt
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Im Verein ist Sport am schönsten. So haben die Sportverbände bisher geworben. Aber die Vereine haben schwer zu kämpfen. Sie müssen sich gegen kommerzielle Konkurrenz behaupten, sie haben es mit einer sich wandelnden Gesellschaft zu tun, die immer älter wird, in der viel Bewegungsarmut herrscht und neue soziale Konflikte auftauchen, etwa durch Migration. Wir stellen Berliner Vereine vor, die modellhaft diese Herausforderungen angenommen haben. Heute Folge 4: „Kietz für Kids Freizeitsport“ und sein Seniorensport.
Sie tragen einen falschen Namen, und zu Hause sind sie in einem Gebäude in Hohenschönhausen, das nicht gerade zu den schönsten der Stadt zählt. Trotzdem finden sie immer mehr Mitglieder. „Kietz für Kids Freizeitsport“ heißt der Verein, aber die Kinder, die bei ihnen Sport treiben, sind schon sehr erwachsen. Der Verein hat vor allem älteren Menschen viel zu bieten: etwa den Puls herunterzubringen auf ein gesundes Maß oder den Medikamentenkonsum zu halbieren. „Kietz für Kids“ versteht sich nicht nur als Sportverein. „Wir sind Teil des Gesundheitswesens“, sagt Geschäftsführer Karsten Heyer. Ihre größte Leistung ist daher: aus Patienten fröhliche Sportler zu machen.
Je älter die Gesellschaft wird, desto wichtiger werden Prävention und Rehabilitation, und desto wichtiger wird – der Sport. Die typische Geschichte eines Mitglieds bei „Kietz für Kids“ geht daher so: Besuch beim Arzt, weil der Rücken schmerzt oder der Blutdruck zu hoch ist. Der verordnet dann gerne Rehasport, denn der belastet sein Budget nicht. So sucht sich der Patient einen Verein. Und landet vielleicht bei „Kietz für Kids“. Dort kann er Herzsport treiben, Sport gegen Osteoporose, er kann auch Herz-Kreislauf-Präventionsgruppen besuchen oder Warmwassergymnastik machen.
Im ersten Jahr unterstützt die Krankenkasse das Angebot. Danach muss der Verein seine Mitglieder überzeugt haben, auch ohne Zuschuss Sport zu treiben. „Man muss von der Pflicht zum Bedürfnis kommen“, sagt Elke Schramm, die sportliche Leiterin des Vereins. Bis jetzt ist ihnen das hervorragend gelungen. 73 Prozent kommen nach einem Jahr auch ohne die Unterstützung der Krankenkasse wieder.
Seit 1997 bietet der Verein Gesundheitssport an, nachdem er sich zuvor besonders um junge Menschen gekümmert hatte. Inzwischen haben sie 680 Mitglieder im Gesundheitssport, 1280 Mitglieder sind es insgesamt. Um sie professionell zu betreuen, beschäftigt der Verein schon 16 hauptamtliche Mitarbeiter. „Die Ehrenamtlichkeit bringt keine Qualität“, sagt Schramm.
Im Zentrum stehen die Übungsleiter. „Sie sind spezialisiert auf die Verschleißerscheinungen, die das Alter mit sich bringt“, sagt Heyer. Das ist die fachliche Seite. Gefordert ist aber vor allem Einfühlungsvermögen. Wenn Schramm eine Gruppe leitet und einen Einbeinstand vorführt, dann wackele die 64-Jährige manchmal mit Absicht ein bisschen, um zu zeigen, dass sie ebenfalls an ihren Schwächen arbeiten müsse. „Man muss auf die Bedürfnisse der älteren Leute eingehen und Ansprechpartner sein“, sagt sie. Dazu gehört auch, manchmal einfach nur zuzuhören, denn die Mitglieder erzählen oft von ihren Schmerzen und ihrer Trauer.
Deshalb haben sie auch einen Vereinsraum eingerichtet, für Geburtstagsfeiern oder einfach zum Plaudern nach der Gymnastik. Dort hat Elke Schramm schon erlebt, dass eine Krebspatientin nach ihrer Chemotherapie ihr Kopftuch abnahm, weil sie sich gut aufgehoben fühlte, als Teil einer Gruppe. „Hier entstehen Bindungen“, sagt Schramm. Auf die Vereinskultur legen sie großen Wert und veranstalten Fahrten, Wanderungen. Auch einen Seniorenbeirat haben sie gegründet.
Einen Unterschied gibt es beim Seniorensport. Ältere Männer trainieren anders – wenn sie überhaupt kommen. Der Frauenanteil bei „Kietz für Kids“ liegt bei 78 Prozent. „Männer haben einen unglaublichen Verdrängungsmechanismus. Sie brauchen auch viel länger, um sich in eine Gruppe zu integrieren“, sagt Heyer.
Den demografischen Wandel bekommen sie bei „Kietz für Kids“ nicht nur an den steigenden Mitgliederzahlen zu spüren. „Senioren von heute sind viel vitaler“, sagt Heyer. Darauf wollen sie mit Angeboten reagieren, die über eine reine Gesundheitsorientierung hinausgehen. Der Geschäftsführer sagt: „Siebzigjährige sind heute manchmal so fit wie früher Fünfzigjährige, und wir müssen bald auch Angebote für Hochaltrige machen, also für die über Achtzigjährigen.“ Bei „Kietz für Kids“ sollen sie länger jung bleiben.
Bisher erschienen: die Turngemeinde in Berlin und ihr Angebot zum Fitnesssport (18.2.), der FC Internationale und seine Integrationsarbeit (25.2.), der SV Empor Köpenick und sein Vorschulsport (4.3.).
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