Sport: Außer Plan
Biathletin Martina Glagow holt überraschend WM-Bronze
Oberhof. Martina Glagow ließ sich einfach fallen. Nicht einmal ihre Skier nahm sie nach dem Zieleinlauf ab, so erschöpft war sie. Während die Zuschauer „Martina, Martina!“ brüllten, lag sie zwischen den Skiern im Schnee, den Kopf mit der Mütze in den Armen. Sie bewegte sich nicht, doch das Gewehr auf ihrem Rücken wippte auf und ab, weil die 24-Jährige so heftig atmete. „Ein kurzes Stück vor der Ziellinie hatte ich vier Sekunden Rückstand auf Ekaterina Iwanowa. Da habe ich alles gegeben“, erzählte die Gesamtweltcup-Siegerin von 2003, als klar war, was dieser Spurt bedeutete: Bronze im 7,5-Kilometer-Sprint bei der Biathlon-Weltmeisterschaft in Oberhof in 26:44,2 Minuten, zeitgleich mit der Weißrussin Iwanowa. Gold ging an Liv Grete Poirée aus Norwegen, Silber an Anna Bogali aus Russland. Katrin Apel wurde 13., Simone Denkinger 24., Kati Wilhelm 26. Alle drei leisteten sich vier Schießfehler bei zehn Versuchen.
Als Martina Glagow im Ziel war, setzte heftiger Schneeregen ein, erst als die Sonne wieder durchbrach, hatte das Zittern für die Deutsche ein Ende. Sie war als 15. von 90 Starterinnen ins Rennen gegangen. Weil die Sportlerinnen im Abstand von 30 Sekunden auf die Strecke geschickt werden, dauerte es lange, bis Glagow sicher sein konnte, dass ihr die Medaille nicht mehr zu nehmen war.
Als sie sich in den Schnee geworfen hatte, war sie noch Zweite gewesen, als sie die ersten Fragen der TV-Reporter beantworten sollte, blieb sie zunächst stumm und schaute gebannt auf die Anzeigetafel in der Rennsteig-Arena. In diesem Moment überquerte Anna Bogali mit der Startnummer 37 die Ziellinie, mit rund 33 Sekunden Vorsprung auf Glagow. Die Russin hatte als einzige der Spitzenläuferinnen alle Scheiben getroffen und musste keine Strafrunde laufen. Glagow leistete sich beim Liegendschießen einen Fehlschuss. „Das Laufen ging nicht ganz so gut. Ich glaube noch nicht dran, dass ich Dritte werde. Schließlich war ich in dieser Saison schon dreimal Vierte“, sagte Glagow in der Wartezeit, „wenn es doch klappt, ist es geil.“
Zwei dritte Plätze
Es klappte, und da störte es Glagow nicht, dass zwei dritte Plätze vergeben wurden. „Gemeinsam einen Platz zu haben, ist immer noch besser, als wenn eine mit einer Zehntel vorn wäre. Was ist schon eine Zehntel nach siebeneinhalb Kilometern?“ Schon bei der WM in Sibirien im Vorjahr hatte sie sich den Titel im Verfolgungsrennen mit der Französin Sandrine Bailly geteilt.
Bei Olympia 2002 hatte Glagow noch im Schatten der Goldmedaillen-Gewinnerinnen Kati Wilhelm und Andrea Henkel gestanden. Ziemlich unbemerkt und ohne Druck holte sie dann als erste Deutsche den Gesamtweltcup – und gewann bei der WM in Sibirien als einzige der deutschen Frauen eine Einzelmedaille. Gestern nun zeigte Wilhelm wieder einmal ihre Formschwäche, Henkel war mangels Leistung gar nicht am Start. Und Uschi Disl lag krank im Bett.
Glagow hatte sich vor der WM keinen bestimmten Platz vorgenommen, „da setzt man sich selbst unter Druck“. Nun hat sie mit einem Medaillengewinn im ersten WM- Rennen vorübergehend den Druck vom deutschen Team genommen. Und das, obwohl die Verhältnisse nicht einfach waren. Weil es in den letzten Tagen so warm war, war „der Schnee weich, und es war hart zu laufen.“ Die Zuschauer an der Strecke brüllten so, „dass man seinen Atem nicht mehr gehört hat. Man wusste nicht, wie schnell man laufen muss“. Die Stärke des Atems dient normalerweise als Geschwindigkeitskontrolle. Während Apel und Denkinger beim Schießen mit plötzlichen Windböen zu kämpfen hatten, fand Glagow den Wind „nicht unbeherrschbar. Er kam immer von links und war nur unterschiedlich stark“.
Kein Sport im Zimmer
Glagow ist neben Disl in dieser Saison die Nummer eins der deutschen Biathletinnen. Doch sie ist deutlich zurückhaltender als Kati Wilhelm, und so passte es ins Bild, dass Glagow bei der Pressekonferenz der Medaillengewinner zeitweise aus dem Fenster sah, weil sich zunächst niemand für sie interessierte. Im Mittelpunkt stand Liv Grete Poirée, die die Frage beantworten musste, wie sie es schaffe, Biathlon und die einjährige Tochter unter einen Hut zu bekommen – zumal Ehemann Raphael Poirée ebenfalls Biathlet und gestern ebenfalls Weltmeister geworden ist. Eine Verwandte reise als Kindermädchen mit, erzählte Poirée, ehe dann auch eine Frage an Glagow gerichtet wurde. Ob sie es sich vorstellen könne, mit Kind durch die Welt zu reisen. „Das ist derzeit nicht so in der Planung“, antwortete sie. Und wenn sie sich mit dem Gedanken an ein Kind befasst, wird sie es vermutlich nicht gleich den Journalisten erzählen. „Martina ist sehr zurückhaltend. Die persönliche Sphäre ist für sie ein schützenswertes Gut. Sie würde sich nicht unbedingt mit Freunden in einer Eisdiele filmen lassen“, sagt ihr Manager Stephan Peplies.
Dazu passt, dass auf Glagows neuer Homepage zwar viele aufwändige Fotos von ihr in Kleidern mit weiten Ausschnitten zu finden sind – aber wenig Persönliches. In den Presseunterlagen des Skiverbandes steht immerhin, dass sie Kässpatzen mag, ihr 80 Jahre alter Großvater täglich zwei Stunden auf dem Stepper oder mit der Rudermaschine trainiert. Und dass die meisten Pokale im Keller stehen. „In meinem Zimmer möchte ich gar nichts haben, was an Biathlon erinnert.“ Schon heute könnte eine weitere Medaille hinzukommen. Im Verfolgungsrennen wird in der Reihenfolge und mit dem zeitlichen Abstand des Zieleinlaufs im Sprint gestartet. Glagow zählt also zu den Favoriten.
Helen Ruwald