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Horrorszenario. Der deutsche Vendée-Globe-Teilnehmer Boris Herrmann hat extreme Höhenangst. Trotzdem musste er zur Spitze des Masts klettern.

© Herrmann / Team Malizia

Blitz und Donner beim Vendée Globe: Boris Herrmann verliert Teile seiner Elektronik im Gewitter

Der letzte Akt des Solorennens um die Welt steht bevor. Der Deutsche Segler Boris Herrmann zeigt navigatorisches Geschick, entgeht aber nur knapp einer Katastrophe.

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Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass Boris Herrmann bei seinem zweiten Vendée Globe Race zu den Besten zählt, dann lieferte ihn seine jüngste Kletteraktion auf den Mast. Was für ein Unterschied zur selben Aktion vor vier Jahren!

Damals trug er das Erlebnis nervlich zerrüttet noch tagelang verstört mit sich herum. Konnte nicht essen, kam nur langsam wieder zu Kräften, zweifelte an sich und dem ganzen Unterfangen, alleine die Welt umrunden zu wollen. Er hatte ein Trauma zu bewältigen.

Dass Herrmann unter Höhenangst leidet, hat er nie verschwiegen. Sie gehört zu den wenigen Schwächen des 43-Jährigen, der die 360-Grad-Herausforderung des Solosegelns beherzt angeht. Aber an einem Klettergeschirr bis zur Spitze des Masts gelangen zu müssen, die in 29 Meter Höhe hin und her pendelt, ist sein Horrorszenario.

Diesmal verlangte ein zerschlissenes Tau am Mastkopf, sich seiner anzunehmen, bevor Schlimmeres geschah. Mit Nadel, Faden und einem Stück Segeltuch rückte er dem Tauwerk in schwindelerregender Höhe zu Leibe, als sich die Gelegenheit dafür bot. Der Wind hatte abgeflaut, eine leichte Dünung würde den Mast zwar einige Meter hin und her schwingen lassen, aber nicht allzu sehr.

Einer der verrücktesten Tage, die ich jemals auf See hatte.

Boris Herrmann

Nach ein paar schnellen Aufnahmen von oben ging es gleich wieder runter, wo sich der Skipper erleichtert zeigte. Er hatte sich überwunden, abgehakt. Das Boot sei „Happy“ und er auch.

Kaum war das vollbracht, verdunkelte sich der Himmel, und Herrmann erlebte „einen der verrücktesten Tage, die ich jemals auf See hatte“. Als er später davon berichtet, sind seine Augen schmal vor Übermüdung. Erschöpfung und der Schrecken über sein Pech sind ihm in einer Video-Botschaft deutlich anzusehen.

Viel Regen, Blitz und Donner. Boris Herrmann an Bord der „Malizia-Seaexplorer“ war gewarnt. Deutlich zeichnet sich die Gewitterfront auf dem Satellitenbild ab. Die rote Linie markiert den von einem Routing-Programm empfohlenen Kurs.

© Herrmann / Team Malizia

Es begann damit, dass eine Gewitterfront über die „Malizia-Seaexplorer“ hinwegzog, mit einer endlosen Kette an donnernden und Blitze speienden Sturmzellen. Solche Unwetter sind in der subtropischen Region des Südatlantiks nicht ungewöhnlich. Aber so massiv hatte Herrmann so etwas noch nicht erfahren. Das Boot wurde mehrfach auf die Seite geworfen und er selbst durch den Innenraum geschleudert. „Glücklicherweise ging nichts kaputt, bis ein Blitz in der Nähe einschlug.“

Zwischen Platz vier und zehn ist noch alles möglich

Die Überspannung ließ die Monitore flackern, bevor sie schwarz wurden. Die elektronischen Systeme versagten. Die „Malizia-Seaexplorer“ lief aus dem Kurs. Herrmann musste schnell reagieren, um weiteren Schaden zu verhindern. Erst als der Wind nach Durchzug der Front wieder auf Nord sprang, wurde es besser. Herrmann konnte den Autopilot wieder in Betrieb setzen, doch Radar, Belastungssensoren, Foil-Sensoren, etwa ein Drittel seiner elektronischen Komponenten bleiben defekt.

Der Verlust einiger Instrumente trifft Herrmann zu einem Zeitpunkt, da er aus einem für ihn guten Rennen noch ein hervorragendes machen kann. An sechster Position liegend, hat er sich eine gute Ausgangsposition für den letzten Akt des Vendée Globe erarbeitet. Zwischen dem vierten und zehnten Rang ist alles möglich. Womit Herrmann sein sportliches Minimalziel bereits erreicht hätte. Aber natürlich will er mehr.

Tauchgang. Der 33-jährige Bretone Guirec Soudée geriet an die Grenzen seiner Kräfte, als er bei Kap Hoorn unter sein Boot tauchen musste. Sein Vorwindsegel war nach einem Bruch des Falls unter die „Freelance.com“ geraten.

© Soudée / Freelance.com

Sein navigatorisches Geschick der letzten Tage berechtigt zu größten Hoffnungen. Momentan bläst der Gruppe aus sieben Seglern ein konstanter Nordwind ins Gesicht, weshalb es einen Kampf gibt zwischen denen, die schon sehr früh nach Osten ausgewichen sind, um sich quasi ,Raum‘ zu holen – den Raum, den es braucht, um sich von der brasilianischen Küste freizuhalten, und jenen, die wie Herrmann so weit wie möglich nach Norden gelangen wollten, bevor ihnen der Weg in die Passatwindzone abgeklemmt wird.

Von seiner Position aus ,kontrolliert‘ Herrmann nun die Konkurrenz. Sobald Vendée-Globe-Veteran Jérémie Beyou („Charal“, Rang 4) und Sam Goodchild („Vulnerable“, Rang 5) den direkten Weg nach Norden suchen, kann er sich vor sie setzen.

Diese Strategie birgt auch Risiken. Aber was tut das nicht in einem Rennen, in dem es blitzt und donnert und der Bruch eines einzigen Taus dazu führen kann, dass sich ein Segel um den Kiel wickelt, wie es dem jungen Franzosen Guirec Soudée passiert ist. Der „Freelance.com“-Skipper musste bei Kap Hoorn über Bord springen und unter sein treibendes Boot tauchen, um das Segel zu entwirren. „Ich bin total alle“, sagte er nach dem gefährlichen Manöver.

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