
© Herrmann / Team Malizia
Lahmer Flügel bei Vendée Globe: Boris Herrmann nach Kollision zurückgeworfen
Nach 67 Tagen auf See bricht ein Hydrofoil der „Malizia-Seaexplorer“. Der deutsche Solosegler kann die Fahrt zwar fortsetzen, aber verlangsamt. Seine einzige Ambition: Nur noch ankommen.
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Man braucht auch Glück, um das Pech von sich fernzuhalten. Derzeit scheint Boris Herrmann kein Glück mehr zu haben. Die „Malizia-Seaexplorer“ des deutschen Vendée-Globe-Teilnehmers kollidierte offenbar mit einem im Ozean treibenden Objekt, das den Backbord-Foil schwer beschädigte und unbrauchbar machte.
Das ist ein weiterer Rückschlag für den 43-Jährigen, nachdem ihn ein Blitzschlag und ein defekter Vorsegel-Beschlag wenige Tage zuvor bereits im Ranking von Platz 6 auf 10 hatten rutschen lassen. Alle Hoffnungen, das Ergebnis von vor vier Jahren einzustellen (Platz 5), sind zerstoben. Selbst Herrmanns erklärtes sportliches Minimalziel eines 10. Rangs ist schwer zu halten. In Les Sables d’olonne anzukommen, ist nun wirklich alles.
Da das Foil anders als bei dem seinerzeit auf Platz zwei liegenden Sébastien Simon („Groupe Dubreuil“) nicht abriss, sondern nur teilweise geborsten ist, versuchte Herrmann zunächst, es abzusägen, nahm aber wieder Abstand von der Idee, da er sie mit seinen Bordmitteln für undurchführbar hielt.
Stattdessen ersonnen er und sein technisches Team an Land eine Lösung, bei der das instabile Foil durch Seile in seiner Position fixiert wird. Auch kein leichtes Unterfangen.
Herrmann gelang es, das wackelige Karbonteil bis zu 80 Prozent in den Rumpf zu ziehen. Der verbliebene Rest wurde von ihm mit Leinen nach vorne und hinten verspannt. Dennoch bleibt die „Malizia-Seaexplorer“ stark beeinträchtigt. Nicht nur fehlt ihr jetzt der Flügel auf der derzeit besonders stark beanspruchten Seite. Auch darf Herrmann nicht mehr schnell segeln.
Würde der massive und extrem kostspielige Appendix in voller Fahrt oder bei schwerem Seegang brechen, könnte er ein Loch in den dünnen Rumpf schlagen oder ein Ruderblatt abreißen..

© Herrmann / Team Malizia
Unter den 34 verbliebenen Weltumseglern des Vendée Globe ist Herrmann der einzige, der noch kein Rennen aufgegeben hat. Und das bei einem Pensum von bis zu vier großen Rennen pro Jahr. Zwar wurde auch er durch technische Defekte gebremst wie bei der Route du Rhum 2022, als er mit der damals nagelneuen „Malizia II“ nur 25. wurde. Aber sein bedachtes Risikomanagement hat ihn stets vor der Enttäuschung eines unfertigen Rennens bewahrt.
Ein Erfolg wäre eine vollendete Nonstop-Umrundung des Globus auch diesmal. Ein persönlicher. Der auch viel über die gewachsene psychische Reife dieses in jeder Hinsicht kompletten Seglers verrät. Ob ein Platz im Mittelfeld den Ansprüchen des Malizia Teams an sich selbst gerecht wird?

© Le Cam / FINISTERE MER VENT
Ein Blick in die Mängellisten der anderen Teams zeigt, dass beinahe jeder Segler in dieser Endphase des Rennens mit Problemen zu kämpfen hat.
Paul Meilhat etwa drohte durch ein gebrochenes Vorstag um seine aussichtsreiche 6. Position gebracht zu werden. Doch der 42-jährige „Biotherm“-Skipper schaffte es, das geborstene Dynema-Kabel mit einer abenteuerlichen Konstruktion zu reparieren.
Jean Le Cam (Rang 22) haderte mit demselben Problem und glaubt, es gelöst zu haben. An Bord der Engländerin Sam Davies (Rang 13) schlitzte eine Leine das achtere Deck auf, nachdem der Umlenkblock gebrochen war. Die Schweizerin Justine Mettraux musste ihren Stromgenerator in einer aufwändigen Aktion auseinandernehmen, nachdem dieser nicht mehr angesprungen war.
„Meine größte Angst ist“, sagt Clarisse Crémer an Bord ihrer „L’Occitaine“, „dass jetzt noch etwas kaputtgeht. So kurz vor dem Ziel.“ Die Französin (Rang 12), die ihr Kleinkind zu Hause in der Obhut seiner Großeltern gelassen hat, um sich den Traum von der 2. Vendée-Globe-Teilnahme zu erfüllen, blickt mit Sorge auf das Sturmtief, das sich ihr in den Weg legt.
Keine der berechneten Routen weisen Windgeschwindigkeiten von weniger als 50 Knoten auf (90 Stundenkilometer). Acht verbleibende Tage mögen nicht viel sein, fährt die 35-Jährige fort, aber die Kombination aus Einsamkeit, Erschöpfung und Wettbewerb habe „wirklich das Zeug, einen durchdrehen zu lassen“.

© IMAGO/PsnewZ/IMAGO/ALEXIS COURCOUX
Unterdessen ist der Drittplatzierte Sébastien Simon in seiner Heimatstadt Les Sables d’Olonne eingetroffen. Mit 67 Tagen und 12 Stunden unterbot auch er den acht Jahre alten Rekord von Armel Le Cléac’h - um eine Woche. Bei seiner Ankunft sagte der überraschend starke „Groupe Dubreuil“-Skipper: „Es bleibt mein größter Wunsch, das Vendée Globe zu gewinnen.“
Eine letzte Chance, sich für den enttäuschenden Verlauf zu entschädigen, hat Herrmann vermutlich noch. Mit dem stürmischen Tiefdruckgebiet, das über den Azoren kreist, wird der Wind wieder von der besseren Seite kommen. Die Bedingungen werden rauer, die Wellen höher. Genau das richtige für die „Malizia-Seaexplorer“, diesen „SUV von einem Schiff“ (Herrmann).
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