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Sturmfrisur. Kurz vor dem Ziel hatte Boris Herrmann mit stürmischen Bedingungen zu kämpfen.

© Herrmann / Team Malizia

Boris Herrmann wird beim Vendée Globe Zwölfter: Das hat er sich anders vorgestellt

Nach einer Pannenserie landet der deutsche Solosegler im Mittelfeld. Trotzdem hat er das „französische Rennen“ in Deutschland bekannter gemacht.

Stand:

Die Tage auf See, allein und im Sturm, können lang werden, wenn es nur noch darum geht anzukommen. Das Rennen ist längst gelaufen, sein Glanz auf jene gefallen, die es gewonnen haben.

Boris Herrmann hatte mit dem Ausgang des 10. Vendée Globe Race lange vorher nichts mehr zu tun, musste sein lädiertes, tapferes Schiff nur noch in den sicheren Hafen bekommen. Das dauerte. Und einfach war es nicht.

Ich könnte beschleunigen, aber ich tue es nicht, um kein Risiko einzugehen.

Boris Herrmann kurz vor Erreichen des Ziels

Mehrere Stürme peitschten in dichter Folge auf die bretonische Küste ein. Tief Herminia fegte mit Orkanstärke über die Biskaya, die zu überqueren im Winter eine letzte schwere Prüfung sein kann.

Acht Meter hohe Wellen

Herrmann, der nach dem Bruch seines Backbord-Foils ohnehin Tempo reduzieren musste, sah sich auf dem Schlussstück Wellen von acht Metern und Böen von 120 Stundenkilometern ausgesetzt.

Bei seiner Ankunft in Les Sables d’Olonne am 29. Januar landet er mit dem zwölften Platz im vorderen Drittel – nach 80 Tagen, die er für die Nonstop-Umrundung der Welt brauchte.

In einem Vendée Globe, das als ein schnelles in Erinnerung bleiben wird, weil die ersten drei Teilnehmer den alten 64-Tage-Rekord von Armel Le Cléac’h aus dem Jahr 2017 unterboten.

Herrmann war genauso lange unterwegs wie bei seiner ersten Teilnahme vier Jahre zuvor, als er nach einer rasanten Aufholjagd durch den Atlantik sogar Aussichten hatte, aufs Podium zu gelangen. Die Kollision mit einem Trawler machte es zunichte.

Sportlich ist dieses Vendée Globe für Herrmann eine Enttäuschung. Was nützt es, zu sagen, dass die Platzierung seine Leistungen nicht widerspiegelt?

Vor dem Start hat der 41-jährige Deutsche oft betont, dass das Vendée Globe „mehr als ein Rennen“ sei, nämlich ein Abenteuer, eine endlose Prüfung des eigenen Charakters, weil man sich jeden Tag mit einem neuen Problem herumschlagen muss.

Den Satz nach dem Rennen zu wiederholen, lässt ihn wie eine Entschuldigung aussehen. Zur brutalen Logik auch dieser Nonstop-Weltumsegelung gehört, dass sie gewonnen werden will – und nicht bloß vollendet.

Für hartes Wetter gebaut. Die „Malizia-Seaexplorer“ kämpft sich durch schwere See.

© Jean-Marie Liot / Malizia - Seaexplorer

Herrmann ging so gut präpariert in diese epische Herausforderung wie nie zuvor. Er hatte sich mit den persönlichen Defiziten auseinandergesetzt, die ihm vorher das Leben in der Einsamkeit schwer gemacht hatten, darunter auch extreme Höhenangst, mit der er nun besser klarkam.

Er hatte das Boot bauen lassen, das seinem Bedürfnis nach Komfort entsprach, sogar eine Holz-Optik im Innenraum sorgte für Hütten-Heimeligkeit, und er wusste besser als viele der 40 Teilnehmer – darunter sechs Frauen – mit der komplexen Maschine umzugehen, mit der er weite Teile des Globus beim Ocean bereits umrundet hatte.

Während sich die Probleme an Bord der Konkurrenz bereits häuften, erwies sich die „Malizia-Seaexplorer“ als genau der „SUV“, als den Herrman sie in Zusammenarbeit mit dem renommierten Design-Team von VPLP konzipiert hatte.

Kein noch so raues Wetter schien ihr etwas anhaben zu können. Ein früher Schaden an der hydraulischen Steuerung war schnell behoben.

Herrmanns große Erfahrung zahlte sich bei seiner siebten Weltumsegelung aus. Bis zuletzt blieb das so, als der letzte Sturm am Kap Finisterre seine Belastbarkeit abermals herausforderte.

Die „Malizia“ bewege sich in den chaotischen Wellen „wie ein Korken“, sagte Herrmann.

Rutschbahn in den Süden

Dennoch war er in der Flaute des Starttages schon um das Wenige zurückgefallen, das man sich im Vendée Globe nicht mehr leisten darf.

Das sportliche Niveau ist so hoch, dass die vorderen zehn Solosegler sofort in einen niemals nachlassenden Zermürbungskampf verwickelt waren.

Dem hohen Tempo der Spitzengruppe waren schließlich nur noch der – meistens führende – Charlie Dalin sowie Sébastien Simon und Yoann Richomme gewachsen.  

Als entscheidender Moment erwies sich eine stationäre Kaltfront im Südatlantik, die den Ozean wie ein diagonales Windband durchschnitt.

Es wurde die perfekte Rutschbahn in den Süden, die das anfangs ziemlich zähe Rennen beschleunigte – für jene, die es rechtzeitig erreichen würden.

Einfach nur noch ankommen wollen. Boris Herrmann am 79. Tag in seiner Pilotenliege an Bord.

© Herrmann / Team Malizia

Boris Herrmann gehörte nicht dazu. Nachdem er auf der Höhe der Kanarischen Inseln in einem Windloch steckengeblieben war, verpasste er den Anschluss knapp. Am Ende machten wohl nur knapp 150 Meilen den Unterschied, der das Rennen definieren sollte.

Bei einer Strecke von 44.000 Kilometern sollte man meinen, dass ein zufälliges Ereignis wie eine lokale Regenwolke nicht den Ausschlag geben kann.

Aber vieles spricht dafür, dass ein solches Herrmann eben doch relativ früh um seine Chance brachte. Einen halben Tag hing der deutsche Segler in subtropischen Regenwolken fest, und als er die Passatwinde erreichte, konnte er wenig gegen den wachsenden Rückstand unternehmen.  

Zum Schluss zeigte sich die Biskaya noch einmal von ihrer unwirtlichen Seite.

© Herrmann / Team Malizia

Er war nun Teil eines Grüppchens mit Sam Davies, Clarisse Cremer und Justine Mettraux, das der Spitzengruppe hinterherfuhr. „Drei Engel für Boris“ wurden die Seglerinnen zeitweilig genannt, weil sie zusammenblieben wie eine Bande.

Erst auf dem langen Weg durch den Südozean setzte sich die robustere „Malizia-Seaexploerer“ ab und schloss zu den Imocas der jüngsten Generation auf, zu der sie ebenfalls zählt.

Bei Kap Hoorn hatte sich Herrmann vom 13. auf den 7. Rang vorgeschoben. Es schien vollkommen offen, wer von der sechsköpfigen Verfolgergruppe Rang 4 erreichen könnte, so eng lagen die Segler, allesamt ausgezeichnete Strategen, beieinander.

Der lange Heimweg

Als bei den Falkland-Inseln eine folgenreiche Entscheidung anstand, setzte Herrmann eine Wende zu spät an, und der Abstand zu Paul Meilhat, der 18 Meilen betragen hatte, vergrößerte sich binnen Stunden auf 180 Meilen.

Von da an sollte die Pechsträhne nicht mehr abreißen. Ungünstigerweise ging es nur noch gegen Wind und Wellen, so dass die „Malizia“ mit der klobigen Bugsektion nicht mehr ihre Stärke ausspielen konnte. Ein Blitzeinschlag in einer Gewitterfront brachte Herrmann um ein Drittel seiner Bordelektronik, danach brach der Vorsegelbeschlag der J3.

Die Reparatur war anspruchsvoll und kostete Zeit. Und weil Herrmann selbst es gewesen war, der als einziger im Teilnehmerfeld einen solchen Beschlag hatte anbringen lassen, machte diese Entscheidung alles zunichte, was er durch seine teils belächelte Entscheidung für ein komfortables, seegängiges Bootsdesign herausgeholt hatte – niemand sonst hat im Südozean sechs Konkurrenten abgehängt.

Das Ziel voraus. Nach einem Regenschauer lichtet sich das Grau des letzten Segeltages.

© Herrmann / Team Malizia

Kaum war der Schaden an der J3 durch einen weiteren verhassten Klettergang zur Mastspitze behoben, touchierte die „Malizia-Seaexplorer“ offenbar ein treibendes Objekt, sodass ein Hydroflügel barst. Damit war die Hoffnung auf eine gute Platzierung endgültig zerstoben.

Ankommen, hieß die Devise, egal wie. Herrmann musste die Geschwindigkeit drosseln, um nicht größeren Schaden zu verursachen.

Derweil sorgten andere Teilnehmer für Aufsehen. Die junge Schweizerin Justine Mettraux wurde Achte. Nicht nur, dass die 38-Jährige damit beste weibliche Teilnehmerin wurde, sie angelte dem Briten Sam Goodchild auf den letzten Meilen auch noch den Triumph ab, bester Nicht-Franzose bei diesem Rennen zu werden.

Goodchild war im Sturm kurz vor dem Ziel das Großsegel zerfetzt worden. Beide waren auf Booten unterwegs, die nicht zur neuesten Generation zählen.

Die Namensliste der vorderen Ränge bestätigt den Trend, dass sich beim Vendée Globe nur frühere Solitaire-du-Figaro-Sieger durchsetzen. Außenseiter wie Herrmann, die diese Eliteschule des französischen Solosegelns nicht durchlaufen haben, dürften es da künftig noch schwerer haben.

Ständig rücken neue französische Talente nach, denen durchaus auch mal ein Neubau winkt. Sieger Charlie Dalin sagte, dass es nicht mehr das Boot sei, das dem Speed auf See eine Grenze setze, sondern der Segler, der in diesem Boot an seine Grenzen gelange.

Ob Herrmann, der als Ranglisten-Zweiter ins Vendée Globe gestartet war, seine Grenzen noch einmal verschieben kann? Es bräuchte wohl nicht nur ein neues Boot, sondern den übermenschlichen Ehrgeiz, sich selbst Unmenschliches anzutun.

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