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Sport: Busemann, Meier und die deutsche Misere im Zehnkampf

Wolf-Dieter Poschmann, der ZDF-Sportchef, ahnte nichts von seinem Verhängnis. "Bei Busemann rechnen wir mit Einschaltquoten, die bis an Länderspiele heranreichen", sagte er mit diesem zufriedenen Blick, mit dem man sichere Siege kommentiert.

Wolf-Dieter Poschmann, der ZDF-Sportchef, ahnte nichts von seinem Verhängnis. "Bei Busemann rechnen wir mit Einschaltquoten, die bis an Länderspiele heranreichen", sagte er mit diesem zufriedenen Blick, mit dem man sichere Siege kommentiert. Stunden später gab Busemann auf. Das war nicht bloß ein Ausfall, das tat richtig weh. Poschmann war enttäuscht, und die Fans am Fernseher warens auch. Busemann ist ein netter Kerl, einer, den man gern sieht. Aber vor allem ist er Zehnkämpfer. Diese Kombination ist entscheidend. Busemann war vorher jahrelang Hürdensprinter. "Wenn er dort Olympiazweiter geworden wäre", sagt Willi Holdorf, Repräsentant von "adidas", wo Busemann unter Vertrag steht, "wäre er nur halb so populär geworden." Holdorf war selber Zehnkämpfer, er hat 1964 in Tokio Olympia-Gold gewonnen, "und ein Jahr lang war das eine Riesengeschichte".

Zehnkampf ist ein Mythos, in Deutschland jedenfalls. Es ist für die Fans der Sport der harten Männer, der echten Kerle. Zehnkampf erinnert an Qualen, an Schinderei, an Überwindung von Schmerzen. Die Leute am Fernsehen leiden mit, weil die Zehnkämpfer die Härte gegen sich selbst aufbringen, welche die Fans gern selber hätten, aber nie erlangen. Und der Zehnkampf ist eng verbunden mit Bildern und besonderen Typen. Holdorf, 1964, wie er sich nach dem 1500-m-Lauf mit letzter Kraft ins Ziel wirft, Kurt Bendlin, der trotz unzähliger Verletzungen weitermachte, der bescheidene Guido Kratschmer, später dann Jürgen Hingsen, Christian Schenk und Torsten Voss. Schenk war 1988 der bislang letzte deutsche Zehnkampf-Olympiasieger, Voss ein Jahr zuvor Weltmeister.

224 Zehnkämpfer erzielten in der Historie mehr als 8000 Punkte, 49 davon kamen aus Deutschland-West und -Ost. Zehnkampf ist die erfolgreichste olympische Disziplin der deutschen Leichtathletik. "Zehnkampf und Langstreckenlauf", sagt der "adidas"-Mann Holdorf, "sind für uns bei der Außenwirkung die wichtigsten Disziplinen." Und Busemann, sagt Holdorf, "ist für uns der wichtigste Athlet." Der Zehnkämpfer Frank Busemann ist zwar noch ohne internationalen Titel, aber längst Millionär.

Die Bilder vom Ende des 1500-m-Laufs speisen den Mythos Zehnkampf vor allem. Die ausgepumpten Männer, die auf die Bahn sinken, die schmerzverzerrten Gesichter auf den letzten 50 Metern der zehnten Disziplin. Jedes Bild ein Dokument der Qual. Das trifft die Nerven. "Ohne 1500-m-Lauf", sagt Holdorf, "könnte jeder Zehnkampf machen. Aber mit einem ausgepumpten Körper noch mal zu laufen, das ist hart." Diese Bilder überdecken allerdings, dass Zehnkämpfer die Quälerei und Schinderei nicht exklusiv haben. Busemann trainierte, ohne Verletzung, zeitweise weniger als ein Hammerwerfer oder ein Kugelstoßer. Sie sind nur vielseitiger, die Zehnkämpfer. Und das Riesentalent Jürgen Hingsen mußte einst weniger tun als Guido Kratschmer.

Aber beide waren in der Weltspitze. In den 80er Jahren, als die Deutschen, wie in den 60er und 70ern, gleich mehrere Top-Athleten hatten. Jetzt haben sie Busemann, aber Busemann ist verletzt, und dahinter ist ein Loch. In Deutschland kommt kein anderer nach. Die Malocher haben nicht das Potential für 8500 Punkte, die Talente ackern zu wenig. Klaus Isekenmeier, eher ein Malocher und in Sevilla verletzt ausgeschieden, hätte zwar das Potential für 8500 Punkte. "Aber", so sagt sein Trainer Jens Schulze, "nur einmal." Der frühere Zehnkämpfer Schulze hatte in den 80er Jahren reihenweise Weltklasseathleten als Konkurrenten, seit 1990 aber gibts in Deutschland nur einzelne Stars. Paul Meier etwa, seit Jahren verletzt, oder Busemann. Warum kommt keiner nach? "Weicheier", sagt Schulze, "die Jungen wollen sich nicht mehr so quälen."

Dem deutschen Verbandspräsidenten ist die Flaute auch heftig ins Auge gefallen. Zehnkämpfer führen im Verband ganz gerne ein Eigenleben, ein bisschen auch, weil sie vom Mythos ihrer Disziplin durchdrungen sind. Und deshalb ist Helmut Digel, der DLV-Chef, gerade dabei, die Multi-Talente wieder völlig ins große System zurückzuholen. "Die sollen sich wieder komplett in den Verband eingliedern. Eigenleben? Wer holt denn die Medaillen? Sven-Oliver Buder, Karsten Kobs. Die sind auch stark. Aber Kugelstoßer. Und Hammerwerfer."

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